B43: Hofmannsthal, Hugo von_3 an Arthur Schnitzler, Abschrift, Seite 61

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Es ist nun fast ein Jahr her, dass wir zusammengereist sind und wenn man es zu-
sammenrechnet (wann man zusammenrechnet/wie oft wir, in dem dazwischenliegenden
Jahr, uns gesehen haben so wird wohl kaum so viel Zeit herauskommen, als wir
miteinander verbracht hätten, wenn wir, ich in Petersburg und Sie in London leben
würden und wir uns auf 8 oder 10 Tage im in Berlin rendez vous gegeben hätten
Und doch sind wir weder so reigh an Freunden und wohltuenden Menschen, noch so
stumpfsinnig überzeugt von der endlosen Dauer des Lebens, noch so begraben in dem
Reichtum unserer Arbeit, dass wir auf das verzichten könnten, was vielleicht das
einzige Geschenk ist, womit unser Schicksal uns für eine unfreundliche Gegenwart
entschädigen wollte: die Freude uns aneinander als Lebendige zu erfreuen.
fast beneide ich diejenigen, die nach uns einmal in Ihren ausführlichen Tage-
büchern lesen und wochenlang ganz darin leben werden - wie es mir jetzt mit dem
prachtvollen Briefwechsel Hebbels geht. - - Wirklich hier geht es so weit - ein
ganz einziger Fall - dass uns das Alltagsgesicht einer Stimmung überliefert ist
dann der Brief, der sich dieser Stimmung nachmittags abringen liess, und endlich
als sie abends sich von innen erleuchtete und erwärmte, das Gedicht das aus ihr
entstand. - - Ueber Goethe ist uns so viel überliefert, aber an keinem Punkt
schliesste sichs so zum Kreise ; nirgends können wir ganz deutlich den Uebergang
aus dem Leben und Leiden ins Gestalten gewahren. Die Jugend erscheint uns traum
haft und befremdlich, selbst wie ein Gedicht; in dem späteren Alter ist Poesie
und Reflexion freilich eins, aber auf Kosten der ersteren. Was aber in dem, der
die stärksten Teile des Faust schrieb vorgegangen ist, an den Tagen wo er sie
schrieb, wie sich damals das Fühlen in Schaffen umsetzte, das würde ich lieber
erfahrn als vieles andere, aber freilich so erfahren wie mans bei Hebbel erfährt
wo mans sieht, wie durch ein Glasfenster. - - Wie aus diesem Brief zu entnehmen
regnet es. Aber ich wüsste gern etwas von Ihnen, bitte Arthur schreiben Sie mir
Von Herzen Ihr Hugo
28/VIII
Ansichtskarte : Weimar
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Eine Weimar'sohe Hofdame: "Ich interessiere mich sehr für einen Landsmann von
Ihnen, der so früh gestorben ist und dessen Werke alle erst nach seinem Tode er-