B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 228

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Amsterdam, Amstel Hotel, 10.4.1907.
Lieber Freund,
lange haben wir nicht von einander gehört, ich glaube
seit dem Semmering? Das ist ein unhaltbarer Zustand
und ich breche endlich dies rätselhafte Schweigen - wie
sich weiter unten zeigen wird, nicht ohne selbstische
Absicht - um Ihnen zunächst meine Freude zu bezeigen
über die gute Nachricht, die mir Frau Kainz brachte:
Sie hätten ein (oder das?) neue Stück begonnen. Hoffent-
lich kann man im Mai schon was darüber, oder davon hören.
Wir haben einen sechstägigen Ausflug hieher ge-
macht, gestern mit Henschel begonnen; leider kann sich
nichts Schnitzlerisches auf dem spielplan finden, da Triesch
ein Baby erwartet, Bassermann nur auf einen Tag kommt,
um unsere letzte grosse Novität Die Stützen der Gesell-
schaft performiren zu helfen; im Uebrigen hat er Urlaub
zu eigenom Gastspiel.
Nun also der bewusste,bewusste Eigennutz. Es
handelt sich um die „Stützen" in Wien. Schlenther sagte
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10.4.07.
mir jüngst in Berlin, er würde, wenn auch ungern, die Ab-
sicht aufgeben, die „Stützen“ jetzt herauszutringen, aber
die N.Fr.Pr.meldete Samstag, in einer jener officiösen
Notizen über kommende Groesthaten: zunächst Faust II,
dann Hartmann - Bernick. Kainz aber sagte mir, vor 30.
April sei an Faust nicht zu denken, und ich frage mich
ist der Bernick Spiegelsechterei oder will Schl. nun
doch uns, die wir am 8.Mai beginnen wollten, mit den
„Stützen" zuvorkommen? Direct fragen möchte ich ihn
unter solchen Umständen nicht, und da komme ich nun zu Ih-
nen mit der Bitte, ob Sie nicht in unauffälliger und
landesüblich- „vertraulicher“ Weise, bei Kainz,bei Haeber-
le, bei wem Sie wollen, die Wahrheit erforschen können?
O thun Sie's, lieber Klosterbruder, („ich will doch
sehn,wie der ergründet") und lassen Sie mich Ihre Ant-
wort bis Montag hier haben, sonst Kronprinzen Usor. (Ich
fliege vielleicht noch etwas ins Holländische dann, doch
nichts Gewisses weiss man nicht).