B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 308

V. 1. „ „
Berlin, 19.9.1912.
319
Lieber Freund,
Ihr Stück habe ich nun gelesen, und der Eindruck der
Vorlesung hat sich mir im Wesentlichen wiederholt:
ich erkannte die vortreffliche Menschildenung, den gu-
ten Bau, den famosen pialog, aber leider auch das uns
, Fremdartige des Milieus von Neuem, das für eine nord-
deutsche Hörerschaft schwer Eingängige der Voraussetzun-
gen. Die Berliner jüdischen Aerzte sind nicht verfolgt,
sie dominieren; wir sind nicht katholisch - ich auch
nicht -, und so wird der Ausgangspunkt des stückes
und sein Verlauf bei uns weniger fesseln, als im Lan-
de des Eucharisten-Kongresses, Erwäge ich nun die aus-
serordentlichen Schwierigkeiten, die die Besetzung und
Einstudierung dieses Werkes verursacht, so muss ich,
mit dem allerlebhaftesten Bedauern, zu dem Entschluss
kommen, auf die Aufführung zu verzichten - mindestens
so lange, bis die wirkung auf demjenigen poden, in dem
19.9.1912.
das Stück wurzelt, sich stark genug erwiesen hat, um mei-
ne Bedenken zu widerlegen. Und sehr gern würde ich,
wenn das Stück bis dahin für Berlin noch nicht ver-
geben haben, zur Première oder einer Wiederholung nach
Wien kommen - denn dass es dort den Weisse und die
Consur passirt, nehme ich noch immer als gewiss an.-
Haben Sie schon was gehört von W?
Meine „Berufung“ ans Burgtheater ist ein reines Mär-
chen. Es liegt nicht das Allermindeste vor, von keiner
irgend berechtigten Seite, und ich hab a heute so wenig
wie im Sommer die Neigung, dieses Kreuz auf mich zu
nehmen. Ich bin nur nicht so taktvoll wie M.R., dass
ich meinen Korb öffentlich austeile. Im Uebrigen aber
bleibe ich der alte (konfessionslose) Jude, den Sie ken-
nen und der Sie herzlich verehrt und grüsst.
O.B.
Was machen die Einakter?