B19: Wassermann, Jakob, Seite 86

Das deutsche Theaterspiel unserer Tage hat sich weit entfernt
von seinem Berufe, dem Jahrhundert und Körper der Zeit den
Abdruck seiner Gestalt zu zeigen. Der Einsichtsvolle weiss
lange, dass auf unseren-Bühnen nicht seine Sache behan-
delt wird. Diese Erfahrung hat eine Abkehr vom Schauspiel
gerade bei jenen bewirkt, die allein fähig sind, einem künst-
lerischen Theater Ermunterung, Resonanz und Gewissen zu sein.
Ohne Zärtlichkeit und ohne Kontrolle des besten Österreich
und Deutschland ist so ein Theaterbetrieb und ein Theater-
publikum entstanden, deren Fragestellungen und Antworten zu-
meist ausserhalb der Kunst liegen. Die Schauspielerei musste
vergröbern und verarmen. Die Bescheidenheit der Natur ist
einer kränkenden Bescheidenheit des Gedankens gewichen.
Jetzt wird der Versuch gemacht werden, dem
Theater, das wir brauchen, vorzuarbeiten durch eine tätige
Verbindung einer Anzahl berufener Männer und Frauen zum
THEATER DER FREUNDE.
Hier soll ein geistig orientiertes Theaterspiel
gepflegt werden, das in exemplarischen Aufführungen exempla-
alschaft neu zusammenschliesst.
rischer Dramen Theater und Gesel
G.C.F.P.
indem die Bühnensache wieder als eine Sache deutscher Kultur
und gedanklicher Leidenschaft begriffen und behandelt wird.
Es ist geplant, im Laufe eines Jahres vier bis
fünf Vorstellungen zu geben, mit gelegentlich zusammengestell
ten Schauspielergesellschaften, in schlichtestem Rahmen, unter
Verzicht auf allen äusseren Aufwand und äufsere Anzeige, unent-
geltlich, vor geladenem Publikum.
Die ersten Vorstellungen sollen auf der Bühne
des Festsaales der Schwarzwald’schen Schulanstalt stattfinden.
Eine Erweiterung des Programms durch Vorlesungen und Musik-
aufführungen in den Häusern der Freunde wird erwogen.
Das „Theater der Freunde“ soll im Frühsommer diesen
Jahres mit einer Aufführung des
„ Wozzecke
von
Georg Büchner
eröffnet werden. Im Herbst wird das Schauspiel
„Vom Teufel geho
von
Knut Hamsu
gespielt werden.
Wien, Ostern 1917.
Fakober ass ermann Jürgen Dehé