Berlin-Dahlem, 17.4.14.
Miquelstrasse 86.
Sehr geehrte Herren.
Schnitzlers "Reigen" habe ich immer für
ein Werk von hohem Kunstwerte gehalten; ein geradezu
klassisches Beispiel dafür, wie sehr ein Dichter auch
den heikelsten Stoff durch die Erhebung ins rein Psy-
chologische adeln kann. Ich würde dieses Werk nicht
gerade Halbwüchsigen in die Hand geben, denen übrigens
genau so gut vieles schädlich werden könnte, was unan-
gefochten auf den Markt gebracht werden darf. Da aber
die Rücksicht auf die Minderjährigen nie und nimmer
zum Kriterium für die Grenzen künstlerischer und wissen-
schaftlicher Freiheit gemacht werden darf, halte ich das
Verbot für gänzlich ungerechtfertigt. Dieses Buch ist
von aller Pornographie durch eine Welt getrennt; es ist
übrigens nicht darnach angetan, Lüsternheit zu erwecken,
sondern infolge seiner herben, grausamen Wahrhaftigkeit
eher geeignet, den Illusionismus der Geschlechtlichkeit
herabzustimmen.
Hochachtungsvoll
Ludwig Fulda.