A100: Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 76

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Katharina.
Wie schön die Sonne bei euch scheint! Und wie
stille di. Wiesen ruhn! — Was macht denn der Wirt
vom goldenen Löwen, der immer so lustig war?..
Und die Walpurga, die dumme?... — O, wenn ich
mehr Zeit hätte, ging' ich hin und besuchte den Wirt,
Walpurga... und auch den Pfarrer besucht' ich..
und in den Wald ging' ich auch. Und auf die Wiese.
Ja, auf die Wiese... weißt du, Marie, wo ich einmal
gewein hab'.... weil dir jemand seinen Mantel unter-
breitete. Aber dazu ist heute nicht Zeit, das lass
ich auf ein andermal! — Wenn die Mutter nur bald
da war'! Wißt ihr, sie soll mir nur einen Kuß auf
die Surn geben, dann will ich wieder fort. Du
bist schön worden, Marie! Aber warum trägst du denn
Schwarz?
Marie.
Der Vater ist tot.
Katharine.
Sieh, ich geh' immer ganz weiß — und manchmal
hab' ich rote Schleifen im Haar, manchmal blaue. Wenn
man jung ist, soll man sich nicht schwarz kleiden, auch
wenn Vater, Mutter und Bräutigam sterben. Legt man
sich nicht selber ins Grab, so ist doch alle Trauer Lüge...
Ach, Marie, warum taunst du nicht fröhlich sein wie
ich?... Gib acht, gib acht. daß es nicht zu spät wird!
Sieh, ich könnt' es mir nicht verzeihen, wenn ich hier
länger bliebe als eine Stunde. (Zieht Marie zu sich.) Es
wartet einer auf mich... sie dürfen's nicht wissen,
Marie!... Einer mit dunkelrotem Mund und zornigen
Augen und einer leuchtenden Stirn.... Und ein andrer
hat mich im Wagen hergeleitet. Aber dem hab' ich auf
ter Landstraße gesagt: „Fort, ich hab' dich satt! Was
willst du? Sieben Nächte bist du bei mir gewesen —
ist das nicht genug?" Und da küßte er mir die Hand:
„Danke, schönstes Fräulein," und sprang aus dem Wagen
und lief übers Feld. — Aber der mit den zornigen
Augen reitet mir nach.