B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 32

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Kopenhagen 5.Januar 22,
.3.32
Verehrter lieber Freund.
Es war mir eine Freude, von Ihnen zu hören, eine noch grössere,
dass Sie jenes schon alte Buch, das ich seit 1915 nie wieder angesehen
habe, mit Befriedigung gelesen. Welcher Fluch für mich, eine Sprache
zu schreiben, die Niemand versteht. Ich möchte Ihnen so gern die
späteren Bücher, Voltaire, Cäsar, Michelangelo zugeschickt haben.
Auch was ich in der letzten Zeit über Homer geschrieben.
Ich weiss nicht, ob Ihre Zei ungen davon gesprochen, dass
(weil es am 3. November 50 Jahre her war, dass ich meine ersten Vor-
träge an der Kopenhagener Universität hielt) hier grosse Feier waren,
Fackelzug, der Studenten und anderes. Es würde mich vor 40 Jahren sehr
gefreut haben.
Am 15. Januar soll ich vor der Aufführung von Tartuffe von der
Bühne des Dagmaren Theaters über Molière reden. Am 19.wieder an die
russischen Schauspieler französisch reden.
Dann verschwinde ich Ende dieses Monats für einige Zeit. Ich
will mich wahrlich nicht zu meinem 80. Geburtstag Glück wünschen
lassen. Die Lächerlichkeit wäre zugross.
Ich las hier einmal im Herbst in einer Zeitung ein Inter-
view eines mir unbekannten dänischen Journalisten mit Ihnen, worin
Sie sehr freundliche Worte über mich sagten, ich glaube die freund-
lichsten, die in jenem Blatte je über mich gestanden haben.
Ich bleibe Ihnen immer verpflichtet und verbunden. Der
Genuss, den ich durch das Lesen Ihrer Werke gehabt habe, ist hundert
Mal grösser als das mögliche Vergnügen, das Sie durch meine nur be-
lehrenden Bücher gehabt haben können.
Ich sahdurch dies Interview, wie viel Unannehmlichkeiten Sie
durch das alte, nur scherzhafte und witzige, Reigen gehabt haben. Der
jetzt überall glühende Antisemitsmus und die Tugendholderei geben
im Verein solche Resultate. Als ob die Menschen durch die Umstände
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Mai 19
Dr. Meisene Klinik 52
Kopenhagen. Alléga
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(5.1.22.)
seit ein
Lieber Schnitzler,- Wegen eines Unwohlseins
dieser Zeit nicht genug litten, gehen sie mit zehnfachen Eifer darauf
los, sich gegenseitig das Leben noch sauerer zu machen.
Ich habe immer Wien in meinen Gedanken, immer mit Mitleid, Trauer
und Dankbarkeit. Können Sie verstehen, das unser Freund Beer-Hofmann
sich mit solcher Leidenschaft an das Judenthum krampft. Es hat mich im
Grunde nie interessiert; nur wenn die Juden verfolgt wurden, und wenn
sie es werden, habe ich für sie heisses Mitgefühl, wie für alle unge-
recht Unterdrückten. Ich kenne nicht einen hebräischen Buchstaben.-Es
scheint mir auch von ihm so gewollt.
Ich denke mir, Sie haben sich in den späteren Jahren mit Casa-
nova beschäftigt am meisten um sich nicht mit dem Gegenwärtigen
herumzuschlagen. Wenn der Einzelne seine Ohnmacht fühlt, nützt es ja
nichts mitzureden. Deshalb schweige ich selbst, xx wo ich viel zu sagen
hätte. Ich habe nicht Frithiof Nansens praktische Begabung so wenig
wie sein Ensehen. Er ist durch den Krieg sehr gewachsen.
Ich bitte Sie Ihrer Frau Gemahlin meine Huldigung, Ihren
Kindern meine Sympathie zu überbringen.
Ihr Freund
Georg Brandes.