B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 32

3. August 914.
Mein sehr verehrter Freund,
ich erfahre hier, auf einem Umweg über Schweden, dass der li-
terarische Nobelpreis dieses Jahr an Oesterreich fallen soll und dass,
unter oder neben anderen, ich hiefür nicht unerheblich in Betracht
kommen dürfte. Nun weiss ich aber, dass von Schweden aus vor Ent-
scheidung der Angelegenheit bei gewissen officiellen Körperschaften
des betreffenden Landes, so bei der Akademie der Wissenschaften und
dem Unterrichtsministerium angefragt zu werden pflegt, wie sich diese
zu dem Vorschlag verhalten, und, wenn mich nicht alles trügt,-Eindrücke
und Erfahrungen- erfreu ich mich an diesen Stellen (was Sie vielleicht
nicht einmal Wunder nehmen wird ) keiner sonderlichen Sympathien ; ja
ich kann mir vorstellen, dass eine eventuell beabsichtigte Zuerkennung
jenes Preises an mich gerade in meinem Vaterland bei manchen massge-
benden Factoren auf einen Widerspruch stiesse, der nur durch das Wort
eines Mannes von höchster Bedeutung und weitestem Ruhm parakysiert wer-
den könnte. In diesem Zusammenhang aber konnt'ich kaum an jemand an-
dern denken als an Sie, der mir schon ein Schützer, ein Freund gewesen
ist zu einer Zeit, da ich von andern Kritikern und Kennern nicht oder
kaum bemerkt wurde, und der seither, durch mehr als zwanzig Jahre meiner
Weg nicht nur mit künstlerischer, sondern auch, was ich sehr wohlthuend
empfand, menschlicher Antheilnahme begleitet hat; und habe mich ge-
fragt, ob Sie sich wohl bereit fänden, ein solches Wort für mich,- das
sich im Ernstfall wahrscheinlich als sehr notwendig erweisen würde -
an der entscheidenden Stelle auszusprechen? Ob Sie diese Anregung nun
als eine nicht allzu bescheidene Bitte oder als den erlaubten Versuch
auffassen wollen, mich Ihnen in einem geeigneten Moment einfach in Er-
innerung zu bringen,- was ich hier gesagt habe, gilt natürlich nur für
den Fall, dass Sie (was mir allerdings selbstverständlich scheint) von
dauxeschus
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schwedischen Comité um Ihre Meinung gefragt werden sollten;- andern
Falls betrachten Sie bitte diesen Brief hier nur insoweit als vorhanden,
als er Ihnen wieder einmal den Ausdruck meines dankbaren Vertrauens,
sowie einer Freundschaft übermittelt, die auch in Jahren, da man ein-
ander nicht begegnete, gleich herzlich weiterlebte.
Vielleicht mag ein solches Schreiben in so aufgewühlter Zeit,
wo aus den bedenklichen Dünsten der Politik allmälig die erhabnen Wol-
kenbildungen der Weltgeschichte aufzusteigen beginnen, kaum der Be-
achtung werth erscheinen; aber, wir empfinden und erfahren es doch alle
immer wieder,- auch in so bewegten Epochen fordert die Einzelexistenz
von Tag zu Tag ihr Recht,- und wie diesmal üblergesinnte meinen könn-
ten,- auch mehr als das. Sie aber, mein verehrter Freund, nehmen mir
diesen Ruf, der hoffentlich nicht allzu störend in Ihre Sommerruhe dringt,
keinesfalls übel, wo immer er Sie erreichen möge.
Wir befinden uns unter ziemlich sonderbaren Verhältnissen
hier in Celerina; auch die Schweiz hat völligen Kriegszustand; wie die
Dinge eben stehen, wäre es mir, mit Frau und Kindern, nur unter den
ärgsten Unbequemlichkeiten möglich, über die Grenze in die Heimat zu
kommen,- und so bleiben wir denn vorläufig hier, in nicht geringer Un-
ruhe; aber freuen uns doch der Wald-, Wiesen und Himmelsruhe in diesem
schönen Thal- das von dem Lärm der Welt nichts zu wissen scheint, trotz
dreier grimmigen Soldaten, die im Wartesaal des Bahnhofs ihr Vaterland
schützen und Karten spielen. - Wollen Sie mir eine Zeile schreiben, so
bitte ich doch jedenfalls an meine Wiener Wohnung (XVIII Sternwarte-
strasse 71) zu adressieren.
Mit den herzlichsten Grüssen, auch von meiner Frau, Ihr
stets ergebener
Arthur Schnitzler