B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 49

Wien 22.5.925.
Verehrte Frau Rung, darf ich um ein Wort bitten, wie sich Georg
Brandes befindet? Wie es Ihnen überhaupt in Salzburg behagt? Mir
sind die paar Stunden, die ich in Wien mit Brandes verbringen durfte,
wieder eine besonders schöne Erinnerung, und auch Ihnen, verehrte
liebe Frau Rung, hab ich für Ihre Liebenswürdigkeit sehr herzlich
zu danken!
Hoffentlich begegnet man einander bald wieder! Viele Grüsse
Ihnen und Georg Brandes
Arthur Schnitzler
1 1/2 1/4 a.t. 1 1 1, n. 1,
Wien, 7. Juli 1925.
Mein lieber und verehrter Freund,
Sie haben mich während ihres diesmaligen Aufenthalts in Wien "nicht
heiter" gefunden,- und so muss ich fast befürchten, dass Sie nicht ganz be-
merkt haben, wie glücklich mich Ihre Anwesenheit gemacht hat und wie froh
ich war, dass Sie mir Ihre Sympathie- eines der Geschenke, für die ich dem
Schicksal besonders dankbar bin- all die Jahre hindurch, die wir einander
schon kennen, ungemindert erhalten haben. Darf ich Ihnen heute in diesen
Zeilen zum Ausdruck bringen, was von Angesicht zu angesicht auszusprechen,
was in meinem Betragen zu verdeutlichen ich, mehr meinem ganzen Wesen nach,
als aus vorübergehenden Stimmungen heraus, nicht so recht im Stande war und
bin? Es ist richtig (und es bewegt mich sehr, dass Sie es empfunden haben,
wenn es mir auch ein bisschen leid tut), dass ich zuweilen ein wenig me-
lancholisch bin, oder doch bedrückt. Hauptanlass wohl mein Ohrenleiden,
an dem nicht nur die langsam aber sicher zunehmende Schwerhörigkeit, sondern,
mehr noch, die ununterbrochenen, subjektiven Geräusche, ein Klingen ein
Sausen, und ein stetes Vogelzwitschern(das sich bis zu einem mässigen Pa-
pageiengekreisch verstärken kann) recht quälend sind. Und, sondernbar ge-
nug, es gibt doch Stunden, ja Tage, an denen mir diese Geräusche,- so
continuierlich sie immer (seit bald dreissig Jahren!) kaum zu Bewusstsein
kommen. Im ganzen verläuft ja die Sache etwas langsamer, als ich zu Beginn
der Erkrankung gefürchtet habe - man gewähnts auch allmälig (zu mindestens
manchmal) aber es ist doch schlimm, dass mir insbesondere der Theaterbesuch
schon ziemlich vergüllt ist und auch bei musikalischen Genüssen viel, sehr
viel entgeht. Und schlimm, dass es eine eigentliche "Stille" für mich längst
nicht mehr gibt. Glücklicherweise werd ich im Schlafen nicht gestört,- wenn
auch diese Geräusche auf mancherlei, oft ganz phantastischer Art sich in
meine Träume drängen.
Auch meine persönliche Existenz ist ja nicht ganz einfach, wie