Arthur Schnitzler
Santis: Da naht ein Jüngling, und in Lieb' entbrennt sie,
Trotzdem die Mutter sie mit Macht behütet
Und mit der Schwester das Gemach sie teilt.
Casanova: Die Mutter?
Nein, die Schwester.
Santis:
Dacht' ich's doch.
Casanova:
Santis: Schon freut sie sich, der Anschuld holde Blume
Auf dem Altar der Liebe hinzuopfern,
Wie manche tat vor ihr und manche tun wird.
Casanova: Das walte Gott.
Doch anders kam es hier.
Santis:
Schon war der Tag der Hochzeit festgesetzt.
Casanova: An einem Tag für beide Schwestern wohl?
Santis: Nein, für die eine nur. Versammelt ist
Der Hochzeitsgäste Schar, die Braut geschmückt —
Doch einer fehlt, o Jammer ohne Maß:
Es wird der Bräutigam, ein Edelmann,
Durch dringende Geschäfte abgehalten.
Es schluchzt die Braut, der Mutter Tränen fließen,
Die Gäste flüstern: Welch ein Bräutigam!
Und schütteln ihre Köpfe ohne Zahl.
Andrea: Genug.
Wieso? Soeben fang’ ich an.
Santis:
Andrea: Und sind so tief in Ansinn schon verstrickt,
Daß nirgendwo ein Ende abzusehen.
Santis: Ein jeder, wie er kann. Man lernt's allmählich.
Hätt' ich geshnt, wie hübsch das Dichten ist,
Ich hätt's in meiner Jugend schon geübt.
Andrea (parla): Ein andermal den Inhalt der Novelle,
Wenn Casanova wünscht. In wenig Worte,
Gleichwie ein mathematisches Problem,
Dräng' ich die Frage, die der Lösung harrt.
Durch Zufallsspiel umarmt ein junger Mann
Anstatt der Dame, die ihm Huld versprach,
Nachts eine andre, die ihn nicht erwartet.
Santis: Die Schwester.
Das gilt gleich, da's ein Problem.
Andrea:
In Schreck und Lust verstummend, glaubt sie fest,
Daß jener weiß, mit wem er glücklich ist.
Am nächsten Morgen reist der Jüngling ab.
Die beiden Damen aber im Gespräch
Vertrau'n, verraten absichtslos einander
Die Abenteuer der verfloßnen Nacht.
52
Die Schwestern
Und wie sie nun erkennen, was geschah,
Sieht jede sich als die Betrogne an;
Die eine, die nach ihm geseufzt, indes
Entzückt er sich in ihren Armen wähnte;
Die andre, die in Wahrheit er umfing;
Doch da sie nun erfährt, daß seine Glut
Nicht ihr gegolten, wandelt sich der Wohnen
Besänftigt Nachgefühl in Sehnsuchtspein.
Und jede so, von Eifersucht verwirrt,
Entschlossen, ihrem Jüngling nachzueilen,
Von ihrem Anspruch jede als dem bessern,
Dem einzig gült’gen überzeugt, ihr Recht
Mit Macht behauptend, sucht die andre erst
In Worten gütlich zum Verzicht zu stimmen;
Bald aber reicht das Wort nicht aus; kein Fluch
Und keine Drohung wirkt; die Augen sprühn
In Haß, die Stimme bricht, mit Nadeln spitz
Stürzt eine auf die andre; endlich blitzt
Ein Dolch
Santis: Oho! Die Phantasie gezügelt!
Trifft so ein Ding ins Herz, ist's mit der Dame
Und auch mit dem Problem ist es vorbei.
Casanova: Doch nehm' ich an, die Dolche waren stumpf,
And da's dem Wort, so wohlgezielt es sei —
An Kraft gebricht, zu töten, nehm' ich an — (mit Ironie)
Zu des Problems und zu des Jünglings Glück —
Die schönen Damen sind lebendig beide.
Mir aber — rat' ich recht? — bleibt zu entscheiden,
Wer die zumeist Betrogne sei von ihnen.
Denn beide sind's, kein Zweifel, und zugleich
Betrügerinnen — schuldlos zwar — jedoch
Sie sind's. Die eine, die versprochene Gunst
Wie's immer kam — dem Jüngling vorenthielt,
Die andre, die ihm höchste Huld gewährt,
Doch — wie sich's auch gefügt — nicht als sie selbst.
Und so erscheint in diesem Zufallsspiel
Die eine nicht und nicht die andre, sondern
Der gute Jüngling als zumeist betrogen.
Andrea: Der Jüngling71 — Wie — betrogen!? Der vielmehr
Zwiefach beglückt war?
Nein, zwiefach getäuscht.
Casanova:
Und rühmt er etwa seines Sieges sich,
Santis: Da naht ein Jüngling, und in Lieb' entbrennt sie,
Trotzdem die Mutter sie mit Macht behütet
Und mit der Schwester das Gemach sie teilt.
Casanova: Die Mutter?
Nein, die Schwester.
Santis:
Dacht' ich's doch.
Casanova:
Santis: Schon freut sie sich, der Anschuld holde Blume
Auf dem Altar der Liebe hinzuopfern,
Wie manche tat vor ihr und manche tun wird.
Casanova: Das walte Gott.
Doch anders kam es hier.
Santis:
Schon war der Tag der Hochzeit festgesetzt.
Casanova: An einem Tag für beide Schwestern wohl?
Santis: Nein, für die eine nur. Versammelt ist
Der Hochzeitsgäste Schar, die Braut geschmückt —
Doch einer fehlt, o Jammer ohne Maß:
Es wird der Bräutigam, ein Edelmann,
Durch dringende Geschäfte abgehalten.
Es schluchzt die Braut, der Mutter Tränen fließen,
Die Gäste flüstern: Welch ein Bräutigam!
Und schütteln ihre Köpfe ohne Zahl.
Andrea: Genug.
Wieso? Soeben fang’ ich an.
Santis:
Andrea: Und sind so tief in Ansinn schon verstrickt,
Daß nirgendwo ein Ende abzusehen.
Santis: Ein jeder, wie er kann. Man lernt's allmählich.
Hätt' ich geshnt, wie hübsch das Dichten ist,
Ich hätt's in meiner Jugend schon geübt.
Andrea (parla): Ein andermal den Inhalt der Novelle,
Wenn Casanova wünscht. In wenig Worte,
Gleichwie ein mathematisches Problem,
Dräng' ich die Frage, die der Lösung harrt.
Durch Zufallsspiel umarmt ein junger Mann
Anstatt der Dame, die ihm Huld versprach,
Nachts eine andre, die ihn nicht erwartet.
Santis: Die Schwester.
Das gilt gleich, da's ein Problem.
Andrea:
In Schreck und Lust verstummend, glaubt sie fest,
Daß jener weiß, mit wem er glücklich ist.
Am nächsten Morgen reist der Jüngling ab.
Die beiden Damen aber im Gespräch
Vertrau'n, verraten absichtslos einander
Die Abenteuer der verfloßnen Nacht.
52
Die Schwestern
Und wie sie nun erkennen, was geschah,
Sieht jede sich als die Betrogne an;
Die eine, die nach ihm geseufzt, indes
Entzückt er sich in ihren Armen wähnte;
Die andre, die in Wahrheit er umfing;
Doch da sie nun erfährt, daß seine Glut
Nicht ihr gegolten, wandelt sich der Wohnen
Besänftigt Nachgefühl in Sehnsuchtspein.
Und jede so, von Eifersucht verwirrt,
Entschlossen, ihrem Jüngling nachzueilen,
Von ihrem Anspruch jede als dem bessern,
Dem einzig gült’gen überzeugt, ihr Recht
Mit Macht behauptend, sucht die andre erst
In Worten gütlich zum Verzicht zu stimmen;
Bald aber reicht das Wort nicht aus; kein Fluch
Und keine Drohung wirkt; die Augen sprühn
In Haß, die Stimme bricht, mit Nadeln spitz
Stürzt eine auf die andre; endlich blitzt
Ein Dolch
Santis: Oho! Die Phantasie gezügelt!
Trifft so ein Ding ins Herz, ist's mit der Dame
Und auch mit dem Problem ist es vorbei.
Casanova: Doch nehm' ich an, die Dolche waren stumpf,
And da's dem Wort, so wohlgezielt es sei —
An Kraft gebricht, zu töten, nehm' ich an — (mit Ironie)
Zu des Problems und zu des Jünglings Glück —
Die schönen Damen sind lebendig beide.
Mir aber — rat' ich recht? — bleibt zu entscheiden,
Wer die zumeist Betrogne sei von ihnen.
Denn beide sind's, kein Zweifel, und zugleich
Betrügerinnen — schuldlos zwar — jedoch
Sie sind's. Die eine, die versprochene Gunst
Wie's immer kam — dem Jüngling vorenthielt,
Die andre, die ihm höchste Huld gewährt,
Doch — wie sich's auch gefügt — nicht als sie selbst.
Und so erscheint in diesem Zufallsspiel
Die eine nicht und nicht die andre, sondern
Der gute Jüngling als zumeist betrogen.
Andrea: Der Jüngling71 — Wie — betrogen!? Der vielmehr
Zwiefach beglückt war?
Nein, zwiefach getäuscht.
Casanova:
Und rühmt er etwa seines Sieges sich,