A145: Mein Freund Ypsilon, Seite 2

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Hier aber, dies steht heute unbestritten fest, fing schon der Wahnsinn meines
Freundes Ypsillon an. Ich pflegte ihn auch zu ermahnen, ernstlicher als mancher an¬
dere: er solle nicht allzu enge Freundschaft mit seinen Schatten schließen, sondern sich
auch im Leben ein bißchen umschauen, wo es manch lebendig Ding gäbe, des Besehens
wert; auch Mädchen, blinde, braune, die mir zum Beispiel viel lieber wären, als seine
schwirrenden Eintagsgestalten.
einmal, nach dem Theater
Nun, eine kleine Liebschaft fing er wohl an
natürlich, mit einer Choristin, die ihm eigentlich auch mehr in die Arme gelaufen kam,
als daß er sich um sie bemüht hätte; aber das ging gar ärgerlich, ja so traurig aus,
daß mir das Verwunderliche und Närrische der Sache erst recht zu Sinn kam, als alles
Das Mädchen kam an einem Nachmittag zu mir gelaufen und traf mich an, als
zu Ende war
mich eben auf dem Fauteuil vor dem Klavier ein leichter Schlummer überfallen hatte.
Ich hatte noch die Hand auf dem Piano liegen, irgend eine Dissonanz klang mir
Ich sah der Kleinen mit einigem Erstaunen ins Gesicht, umsomehr, als ich
im Ohr.
Freund Ipsillon nicht an ihrer Seite gewahrte, ohne welchen sie mir noch nie in meinem
Heim einen Besuch gemacht hatte. Mein rascher Blick nach der Tür mochte ihr die
ungesprochene Frage erklären, die auf meinen Lippen lag, und sie sagte, indem verhal¬
tenes Weinen in ihrer Stimme zitterte: „Er sitzt zu Hause und schreibt!
„Du kommst von ihm?" Dabei stand ich auf und lud sie ein, auf dem Divan
Platz zu nehmen, zu dessen Seite ich mir einen Sessel rückte.
Kaum saß sie da, als sie heftig zu schluchzen begann.
„Was ist dir denn, Kleine?" fragte ich sie. „Nun?"
Sie aber gab keine Antwort
Ich wartete geduldig. Dann fragte ich nochmals, ganz ohne Unruhe im Ton:
Sie nahm ihr Taschentuch und trocknete ihre Tränen. „Spielen Sie einen Walzer,
„Nun
irgend etwas Lustiges, dann werde ich's Ihnen erzählen..
Ich begab mich zum Piano und schlug die Tasten an. Schon bei den ersten
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Auf ihrem Antlitz las ich das Erstaunen über die Ruhe, mit welcher ich diese
Wahrheit aussprach. „Es ist nicht das erstemal, daß er sich in seine eigenen phantasie¬
gebilde verliebt. Laß ihn zu Ende kommen mit seinem Gedicht, laß es ihn ins Pult
werfen, und der Spuk ist wieder verschwunden.
„Da muß man ja Angst vor ihm haben!" rief sie aus.
„Das eben nicht," entgegnete ich, „aber schon ein oder das anderemal habe ich
daran gedacht, wie sehr es seiner Liebe zu dir zu statten käme, wenn du ihm erklärtest:
„Mein süßer Ypsillon, ich existiere ja eigentlich nicht, ick habe mich davongestohlen
aus einem Märchen, und diese holde Wirklichkeit in deinen Armen ist nur ein
Traum
„Wie?" fragte sie. Sie verstand mich kaum.
„Nun, ich will dir nur erklären, daß du keinen vernünftigen Grund hast, eifer¬
süchtig zu sein. Laß ihn arbeiten, noch zwei, drei Tage, dann wird er selber zu dir
kommen und dich bitten, wieder die Alte zu sein. Verlaß dich auf mich!
„Er ist also ein halber Narr!" rief sie aus
„Ein halber Narr? Einhalber Dichter, also wohl ein ganzer Narr! Aber beruhigte
dich nur und weine jetzt nicht!"
Wieder griff ich in die Tasten und spielte einen Walzer
Währenddessen ging fie zur Tür, und als ich aufstehen wollte, sie zu begleiten,
wehrte sie mit einer Handbewegung ab und sagte:
„Ich komme schon wieder!" Damit verschwand sie, und ich ließ die Hände in den
Schoß sinken
Des anderen Morgens besuchte ich Freund Ypsilon. Obzwar der helle Tag ins
Zimmer schien, brannten auf seinem Schreibtisch vier rote Kerzen (er konnte nur bei
roten Kerzen arbeiten), und mit trüben Augen saß Ypsilan davor, während seine Feder
ruhelos über das Papier irrte
Ich löschte die Lichter aus; beim letzten gewahrte er überhaupt erst meine An¬
wesenheit. „Ach du!" sagte er.
„Ypsillon," sagte ich ernst, „wirf augenblicklich das Zeug da beiseite; geh' mit
mir frühstücken, widrigenfalls ich alles aufbieten werde, dich in den Narrenturm stecken
zu lassen
Er heftete seine großen glanzlosen Augen auf mich.
Akkorden hörte ich ihre Stimme neben mir:
„Die Kleine war gestern bei mir“, erzählte ich ihm weiter. „Was hast du denn
„Er liebt mich nicht", sagte sie tonlos
Ich hielt im Spiele inne und sah sie mit einem überraschten Blicke an, der
eigentlich nicht so ganz aufrichtig war, da ich auf einen Bericht dieser Art vorbereitet war.
Er lächelte. „Rede mir nicht von diesem armseligen Menschenkind! Ich habe
dieses Geschlecht übersatt.“
„Spielen Sie weiter," sagte sie traurig
„Ja, aber einen Walzer kann ich jetzt nicht spielen," entgegnete ich, um uns beide
„Ja, natürlich!“ sagte ich. „Diese lebendigen Weiber! Sie sind brutal genug, zu
mit einem Scherze über den peinlichen Moment hinwegzubringen — und intonierte einen
essen, gu trinken, zu lieben und mit einem Riesenaufwand von wirklicher Existenz durchs
Trauermarsch.... Ich wollte, ich hätte ihn damals nicht gespielt — heute quält mich
Leben zu schreiten.
„Rede mir nicht von ihnen," unterbrach er mich. „Es gibt nur Eine mehr für
der Gedanke daran in lächerlicher, abergläubischer Weise.
sagte sie, „denn ein-
Die Kleine sprach weiter: „Er muß eine andere haben,"
mich. Du wirst mich ihr nimmer entreißen! Höre! Es war einmal
übers anderemal rief er heute aus: „Du bist doch nicht wie sie — nicht mie fie —.
Nun begann er mir eine Geschichte zu erzählen, während deren er manchmal auf
Und dann, als ich ihn ganz ängstlich küßte, sah er mich an — so von oben herab —
die Blätter schaute, die vor ihm lagen. Es handelte sich da um irgend ein sonderbares
und sagte: „Geh, siehst du nicht, daß du mich störst?“ Ich war erstarrt, er aber schrieb
Mägdelein, das auf einer Insel im indischen Ozean lebte, Türkisa hieß und das Gold¬
weiter, sein Gesicht war gerötet und seine Augen glänzten. Nach einer Weile sah er
seligste war, das jemals von Menschen oder Göttern war erschaut worden. Ypsilon
sich um und sah mich noch immer da stehen. „Noch immer?“ fragte er, da ging ich."
konnte nicht Worte genug finden, den unendlichen Zauber, der von ihr ausging, zu be¬
schreiben. Mit verzückten Blicken erklärte er mir schließlich, daß er, seit Türkisa ihr
„Was glaubst du eigentlich?" fragte ich
Reich ihm in Kopf und Herzen aufgeschlagen, für nichts anderes mehr das geringste
Sie zuckte nur die Achseln.
„Ich will es dir sagen," fuhr ich fort, „wenn du mich auch anfänglich nicht
verstehen magst. Du hast keine Nebenbuhlerin aus Fleisch und Bein — jene andere,
Interesse empfinden könnte.
„Du liebst sie wohl?“ sagte ich
von der du sprichst — lebt gar nicht und ist nur eine Einbildung unseres Freundes
„Ich bete sie an“, sagte er im Tone des tiefsten Ernstes. „Aber ach, sie muß
Ypsilon.
sterben
Ich schüttelte ganz entsetzt den Kopf.
Sie starrte mich an.
„Ich kenne ihn," sagte ich, „und weiß, daß er verrückt ist!“