A145: Reichtum. Erzählung, Seite 5

in die, wo man ihn schon kannte.. Lieber in irgend ein Wirtshaus, um irgendeine Kleinigkeit
zu essen. Es trinkt sich besser dabei.. So.. hier. Und er ging in ein kleines Wirtshaus
ließ sich eine Speise auftragen und trank Wein dazu. Er aß langsam; er wartete von Bissen
zu Bissen. Ueber der Eingangsthür war eine Uhr.. sie war wohl stehen geblieben.. Nein.
nein die Zeiger rückten nur so langsam. Draußen hörte er eine Turmuhr schlagen. Er zählte
.. neun.. zehn.. ejlf... D.. enf Uhr! und da ist es eben dreiviertel vorüber.. Dieser
Wirt! Natürlich. Damit man länger sitzt und mehr verzehrt. Er ließ sich eine Zeitung geben.
las sie vom Anfang bis zu Ende durch, mit brennenden Augen, mit dem festen Willen, nur
an das zu denken, was er las, aber er faßte kein Wort auf.. Er zahlte und ging. Die Uhr
zeigte ein viertel nach eilf — es war also halb zwölf.. Einsam, tot die Straße. Langsam
begab er sich nach dem Klubhaus.. Da war es — da lag es vor ihm; das Thor weit
offen, die Fenster erleuchtet, glänzend inmitten der von matten flackernden Laternenlichtern
erhellten Straße.. Das Herz klopfte ihm, als er, auf der gegenüberliegenden Seite stehend,
das Gebäude betrachtete. Es kam ihm wie etwas Riesiges vor, wie eine steinerne Macht. Es
schaute ihn an, wie er es anschaute.. Die strahlenden Fenster waren hundert glühende Augen.
die ihn verschlangen. Und der Augenblick trat ihm wieder ins Gedächtnis.. Der große
Augenblick, in dem er die Bank sprengte und ein Gleichberechtigter war unter all den vornehmen
Herren, die mit ihm am selben Tische saßen.. Da oben, ja.. Das waren die Fenster.
Und jetzt fort.. noch einmal, noch énmal das Geld gewinnen!
Er ging bedächtig.. er bog um die Ecke.. die lange lange Straße.. weiter, noch weiter
links.. er versuchte an nichts zu denken.. so.. gut. Da muß es gewesen sein.
und jetzt wieder eine andere Straße.. gut.. hier war es.. denn hier zog es ihn weiter
.. so.. und nun.. ja. dort.. es rauschte..es rauscht.. wahrhaftig.. was ist
das.. ah, der Fluß.. war es hier vielleicht.. gewiß.. nein.. ja! Da stand er.. Vor
ihm, leise schäumend, glitzernd von den Laternen, die an seinen Ufern stehen, der Strom, der
die Stadt durchschneidet. Und drüben wieder Häuserreihen.. und darüber der wolkenbedeckte
Nachthimmel, von dem unaufhörlich der warme Regen niedertropfte. Seltsam, mischte sich das
Geräusch der fallenden Tropfen mit dem schläfrigen Brausen der Wellen. Also da?... Und
er schritt dem Ufer entlang; links.. dann kehrte er um.. rechts.. und dann hielt er inne
an einem mächtigen steinernen Löwen, der ein Standbild am Ende einer Brücke vorstellte.
Er betrat die Brücke, über die eben ein schwerer Wagen rollte
Das Geräusch verlor sich. Stille ringsum, nur der Regen und die Wogen da unten.
Und am Geländer lehnend schaute er hinab; ratlos, bebend.. „Was hat mich hieher ge-
führt.. Mußte ich nicht hieher? Und jetzt?“ Immer blickte er hinab.. es schwindelte ihn.
Plötzlich ein schauerlicher Gedanke, daß er zusammenzuckte. „Vielleicht.. hab ich's ins Wasser
geworfen!" Und er begann wie ein Kind zu wimmern. „Ins Wasser geworfen.. weil ich
betrunken war.... Betrnnken hab ich mich! Und warum denn? Da oben! und warum hab¬
ich’s denn verstecken wollen? Vor meiner Frau? Vor dem Kind? Hätten sie mir's denn
gestohlen? War ick denn verrückt! Was hab ich denn gethan?.. Was hauch denn gethan?..
Ich weiß doch, daß mich das Trinken verwirrt macht.. Da drinnen, da unten das Geld :/7,
Spring nach, Weldein, du Dummkopf, du Trunkenhold, du Schuft!"
Und er hielt sich am Geländer fest, während er schrie und raste.. „Verstecken! ich hab¬
es verstecken müssen.. Im Strom.. Auf dem Grund?.. Nein! Ich kann es nicht hinein¬
geworfen haben! So närrisch ist der ärgste Narr nicht!.. Aber wo ist es?.. Wo? Wo?
Wo?..
Der Regen ließ nach.. am Himmel zeigten sich dunkelblaue Streifen und einige Sterne
blickten nieder. In tiefem Schlummer lag die nächtliche Stadt; ab und zu ein Ton aus
der Ferne, der kaum zu deuten war; einmal ein verklingender Gesang von heimkehrendem
Zechern. dann wieder alles ruhig ; und unter ihm, von ihm weg, den verhüllten Bergen
zuströmend, die gleichmäßig rauschenden Wogen.. Lange, sehr lange lehnte er noch da; die
Augen waren ihm wieder trocken; er selbst war ruhig geworden... Und wied er ein Hauch
von Leben.. Von der anderen Seite der Brücke kam es.. Karren, von feisten Gäulen
gezogen, zuerst einer, dann zwei oder drei zu gleicher Zeit; die Bauern kamen vom Land zu
Markte... Eine nahe Turmuhr schlug.. eins.. zwei.. Und wieder tiefer, großer Frieden.
Weldein verließ die Brücke und das Rauschen verklang allmählich hinter ihm... Als er es gar
nicht mehr hören konnte, wollte er wieder dahin zurück... Aber er schüttelte den Kopf und
ging seines Weges weiter.. gedankenlos vorwärts.. Er fah auf die Pflastersteine zu seinen
Füßen.. er begann seine Schritte zu zählen.. Er zählte immer weiter, kam bis hundert —
dreihundert — sechshundert. Dann hörte er auf. Es kam wieder über ihn; er mußte wieber
daran denken.. „Und kann man denn so weiter leben?“ fragte er sich. „Und was ist's jetzt
mit mir? Bin ich reich? Vin ich arm? Werde ich es finden? Muß ich’s nicht einmal finden?
Natürlich, ich muß ja.. Es wird die Stunde kommen, wo ich's wieder weiß. Wenn ich im
Bett liege.. oder morgen.. in einigen Tagen.. wenn ich wieder ruhig bin..“
Und vorwärts.. der heimischen Vorstadt zu. Ein grauer Morgenschimmer im Ost..
Bald erwacht alles wieder zum neuen Tage, zur neuem Arbeit. „Und ich?“ dachte Weldein.
„Auch ich wieder zur Arbeit —? Ich, der Millionär?.. Wieder auf die Leiter steigen und
anstreichen?.. Und heute früh noch hat mir die ganze Welt gehört?.." Da vor ihm lag
das Haus, in dem er wohnte.. Er erschrak, da er es mit einemmal sah.. dort oben sein
Fenster offen, nur die Vorhänge heruntergelassen, die sich leicht bewegten. — Und Wel dein
lehnte sich eine Weile ans Hausthor, dann nahm er seinen Schlüssel und sperrte die Thüre auf.
Schauerlich klang es ihm, als sie ins Schloß fiel. Hinter ihm alle Hoffnung, alles Glück!
Langsam stieg er die Treppe hinauf.. zurück ins alte Elend.
Und die Jahre zogen dahin. Karl Weldein strich die Zimmerdecken und Wände an,
betrank sich zuweilen und spielte nicht mehr. Er, der reiche Mann, um lumpige Groschen!
Und manchmal, wenn ihm der Branntwein zu Kopfe gestiegen war, da durchzuckte es ihn,
als hätte er's gefunden. Und mit einem Male alles wieder dunkel. Manchmal kam es wie
ein gewaltiges Staunen über ihn, daß er damals nicht verzweifelt war. Aber als nur die
ersten Tage überwunden waren, ging es schon besser. Anfangs machte er allabendlich den
Weg jener Nacht.. immer ruhiger aber, und manchmal nur mit dem Gedanken : Ein recht
schöner Spaziergang. Andere Abende jedoch und ganze Tage und Nächte kamen, wo ihm
der Wahnsinn nahe schien. Dann... der Schnaps! Auf ein paar Augenblicke Hoffnung,
ein Schein des Glücks. Zuweilen, wenn er mit dem großen Pinsel in der Hand
auf der Leiter stand und die Farben auf die Zimmerdecke hinwarf, wünschte er sich
herunterzufallen, damit endlich einmal dieses dumme Leben zu Ende sei! War denn das ein
Leben! Die kränkliche Frau zu Hause, die mit ihrer Näharbeit gar wenig verdiente und
dabei immer blasser und mogerer wurde. Der Bub mit den geflickten Kleidern, der wild
aus der Schule gestürmt kam und immer Hunger hatte. Und dann das kärgliche Mittag¬
mahl in der ärmlichen Stube, ohne daß was Rechtes dabei gesprochen wurde. Im Wirts¬
haus die Kameraden, die alle doch nur an sich selber dachten. Und draußen in der Welt
das viele Glück und all das Schöne, an dem er vorüber mußte — er, der reiche Mann!
... Und all den Kummer mußte er in sich verschließen. Wenn er's in die Welt hinein¬
gerufen hätte: „Ich bin sehr reich... unendlich reich... ich weiß nur nicht, wo ich mein
Geld habe!“ — wie hätte man da gelacht! Gelacht? Ins Narrenhaus hättte man ihn
gesteckt!