A220: Liebelei. Erstes Bild, Seite 2

25 Dezember 1931
Rt 8091
reitag
DER WIENER TAG
B.
M
eben
Von Arthur Schnitzler T
Erstes Bild der unbekannten Ortassung
des Schauspiels.
Müller (ihr Tänzer, ein Kommis): Lei¬
Im Jahre 1908 erschien in dem seither Weber.
der, Fräulein!
eingegangenen „Wiener Verlag“ ein von
Wendmann
Mizii: Wo is denn die Lina?
Richard Specht herausgegebenen Ban;
Müller.
Müller: Die Fräulein Lina? — Fräu¬
„Widmungen zur Feier des sieb¬
Christine.
lein Lina? — Ja, wo is denn die Fräul'n
zigsten Geburtsta
ter
dinand von Saarg.
Lina?
Lina.
Weber (unger Mann, mit vorstädtischer
gesamte literarische Wien war darin
Beiträgen vertreten. Mit der Ehr
Sonntagseleganz gekleidet, tritt herzu. will
Theodor.
Eschenbach begann die Reihe und führt
sich eben eine Zigarette anzünden): Fraulein
Meier, Klavierspieler.
über Peter Altenberg und Hugo von
Mizzi, meine Hochachtung! —
mannsthal zu Schnitzler und Schönber
Döselmeyer senior: Bitte rech: sehr,
Tanzschule in einer Vorstadt, langgestrecktes
Bands-
Artur Schnitzler steuerte zu den
mein Herr, auf der Stiege zu rauchen! —
ordnung bey dem
Lokal, mit hellen geblümten Tapeten. Fünf
eine dramatische Szene bei. Si
Polizeiliche Verordnung!
Fenster. Born links das Klavier. Rechts die
Titel Liebelei“, darunter
Erste
Mizzi: Kaum kommt er in Salon, hat er
Bild, Schauplatz ist eine „Tanz
geöffnete Eingangstür, mit dem Ausblick auf
schon ein' Anstand! — Es ist schrecklich!
Garderobe und Stiegenhaus. Zwischen den
schule in einer Vorstadt
Wer Schnitzlers Werk in der Fassun
Weber (vertraulich): Aber Herr Dösel¬
Fenstern und an der linken Seitenwan
kennt, in der es seinem Dichter früher
meyer — is ja nicht brennend!
Bänke, die mit ordinärer roter Seide über¬
Ruhm eintrug und seither über zahllose
Döselmeyer senior: Bitte, entschul¬
zogen sind. — In der Garderobe ab und zu
Bühnen der ganzen Welt ging, wird über
digen schon; es ist nur wegen der Verordnung!
Herren und Mädchen, die Überkleider ablegen
diese unbekannte Szene erstaunen. Eine
(Wendet sich ab.)
und in den Saal treten. Während der Tanz
Anmerkung gibt die nötige Aufklärung
Müller: Ja, wo is denn d'Fräul'n Lina?
pausen verlassen auch Mädchen, manchma
Sie lautet:
Weber: Oh,'s Fräul'n Lina hat auch die
mit Herren, den Saal und stehen in der Gar=
„Liebelei’, jetzt ein Schauspiel in
derobe, um sich im Spiegel zu beschauen und I Ehre da zu sein —?
3 Akten, war früher als Volksstüc
in acht Bildern angelegt, und it
Mizzi: Ja, wir suchen s' allerweil! —
das Haar zu richten. Am Klavier sitzi der
dieser Form bereits begon
Müller: Da beim Fenster steht s' ja mit
Klavierspieler und spielt beim Aufziehen des
nen worden. Was hier vorliegt, ist das
Vorhangs die letzten Takte einer Ouadrille. Es mein Cousin!
erste Bild jener ursprünglichen Fassung
Döselmeyer junior (herbeitretend
tanzen etwa 14 Paare. Herr Döselmeyer
und nur einem freundlichen Wunsch des
etwas energischer als der senior): Bitte recht
junior, in einem etwas verschossenen Frack,
Herrn Richard Specht Folge leistend.
sehr, hier nicht zu rauchen — auf der
arrangiert; Herr Döselmeyer senior steht in
überoebe ich ihm das Manu
zu
S'tiege, bitte.
Veröffentlichung in diesem Band
der Nähe der Türe und ruft auch zuweilen
Mizzi: Grad war Ihner Herr Vater da —
drein.)
Weber: Aber ich weiß ja schon! — Sie ist
Wir veröffentlichen im folgenden di
Döselmeyer junior: Kolonne... zwei-
lenbeit und dichterischen Anmut weit mehr mal vor! — Double été — Kolonne! — Saint ja nicht brennend!
Szene, die in ihrer künstlerischen Geschlo
Mizii: Na, stecken S' es endlich ein
als bloß ein Dokument zur Simonlenne! — Große Ronde... à place!
Ihnere Zigaretten, sonst konfiszieren s' Ihnen
darstellt
Literatur
Geschichte.
noch Ihren ganzen Tabak
(Während der ganzen Ronde Verwirrung
Weber (wischt das Mundstück der Ziga-
Rufen, Lachen.)
Arthur Schnitzler.
rette mit dem Sacktuch ab und verwahrt sie
Döselmeyer junior (sehr energisch)
Liebelei.
in der Gilettasche): Heiß is! Es ist wirklich ge-
Ko... lonne dreimal vor! — Chassez croisez
Erstes Bild.
scheiter, wir gehen ins Stiegenhaus
— (Schlägt dabei dem Klavierspieler auf die
Mizzi: Damit Sie rauchen können! —
Personen:
Schulter. — Die Musik verstummt. Der Kla=
Nein, ich geh' nicht auf die Stiegen. Neulick
Döselmeyer senior, Inhaber einer Tän-
vierspieler blättert in den Noten.)
hab' ich mich so verkühlt.
schule.
Mizzi: Iessas! jetzt is schon aus! —
Klavierspieler Meier (ist aufge¬
Döselmeyer junior.
standen, etwa 40 Jahre, mager, freundlich,
wyöntstiennunyksiä.
o
lange Haare; wie er an Mizzi vorbeikömmt):
Küß die Hand, Fräulein!
Weber (leutselig): Gehen jetzt ein bisse
ausschnaufen, Herr Meter, wie? —
Müller: Aber dann!
Mizzi: Sie, dann müssen S die Donau¬
wellen spielen!
Meier: Küß die Hand, Fräulein, — aber
's kommt dann a Mazur.
Weber: Lächerlich! Was heißt das?
's kommt a Mazur? Wenn die Fräul'n Mizzi
will, so kommt halt a Walzer!
Meier: Na, wer'n schaun — wer 'n
aun. (Will abgehen.)
Weber (ohne von den anderen gehört zu
werden): Lassen S' Ihnen auf mein Konto
a Viertel Wein hol'n, wenn S' an Durst
haben.
Mizzi: Was haben S' denn?
Weder (nobel): Ah nix, nix! —
Müller:... mit meinem Cousin!
Mizzi: Was ist denn mit'n Cousin?
Müller: Na, mit meinem Cousin steht
beim Fenster, die Fräul'n Linä!
Mizzi: Geh, Lina, komm daher, du wirft
dich ja wirklich verkühlen.'s kommt so a kalte
Luft herein von der Gassen.
Müller: Die Fräulein Lina ist halt so
viel hitzig! — (Lacht herzlich.
Lina (zu Weidmann, mit dem sie in der
Nische stand): Na, komm, gehn mer füri. —
Jessas, der Herr Weber! I hätt’ Ihnen bald
nit erkannt! Wo sein S' denn so lang g'steckt
Weidmann (junger Mensch, ziemlich
dick, von etwas brutalen Gesichtszügen, Sech¬
ser, aufgedrehter schwarzer Schnurrbart): Was
willst denn? Der Herr Weber ist doch alle
Sonntag da!
Weber (sehr geschmeichelt): Nein, am
vorigen Sonntag bin ich nicht da gewesen! Is
ganz richtig
Lina: Na, sehn S', wie ich mich an alles
erinner!
Weber (nimmt wieder seine Zigarett
aus der Gilettasche, Mizzi nimmt sie ihm
weg): Na, was is denn?
Mizzi: Haben S’ nicht g’hört, daß man da
nicht rauchen darf? —
Weber: Ja richtig! — Aber's is eigentlich
zu dumm.
Wir sind doch keine Kinder
nicht! — Wir wer'n doch die Vorhäng' nicht
anzünden! — Wir sein doch auf kein' Elitée-
ball! —
Weidmann: Da sollt' man wirklich mit
Wintermorgen.