A230: Und einmal wird der Friede wieder kommen, Seite 8

(Jänmar 1915)
(Krieg)
Es wiederholen sich die Anekdoten von den Feinden, die einander
in den Schützengräben gegenüberliegen, einander in den Schiesspausen
Zeichen geben, sich in der neutralen Mitte begegnen, Zigaretten und
Nahrungsmittel austauschen, einander die Hände drücken (einmal sollen
sich zwei weinend um den Hans gefallen sein) und dann in ihre Gräben
zurückkehren, um sich gegenseitig totzuschiessen, ohne Hass. Sie haben
sich kennengelernt.
Hinter ihnen steht die Artillerie. Die Kanonen schiessen auf Unbe-
kannte, Unsichtbared,* ins Leere gewissermassen, in eine undifferenzier-
te Masse, ohne Hass.
Wieder hinter ihnen die Stäbe in den Hauptquartieren. Ihnen ist
das Ganze vor allem ein mathematisches problem. Immer mehr schwindet
der Begriff des Einzelmenschen; es handelt sich um ein Spiel mit Fi-
guren, die zufällig Menschen sind... Auch hier nicht Hass von Mensch
zu Mensch...
Noch weiter hinter ihnen die Diplomaten. Hier werden Geschäfte
gemacht mit Geld, Macht, Ruhm, Fragen der Karriere. Selten unter ihnen
ein Staatsmann, der ins Weite blickt. Auch hier kein Hass. Und noch
weiter hinten der Hof, die Regierungen. Man ist miteinander verschwä-
gert. Vorgestern hat man einander umarmt. Es gab Trinksprüche, Freund-
schaftsversicherungen, gestern noch hat man sich gegenseitig beschwo-
ren und versprochen, alles für die Erhaltung des Friedens zu tun. Und
heute soll der Hass da sein? Eifersucht, dieselbe, die auch vorgestern,
gestern da war; und übermorgen nach dem Friedensschluss, nach den Trink-
sprüchen und Umarmungen wieder da sein wird.
Dort, wo der Krieg, eine ernste Sache ist, wo es um Leben und
Tod geht, gibt es keinen Hass, Je mehr er zum unverantwortlichen
Spiel wird, umso eher findet er Entwicklungsmöglichkeiten.