A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 68

sten Stufen der sinnlichen Liebe. Anatols Eise ist ein sennliches, ver-
antwortungsloses Geschöpf von reizender Amoralität und Oberflächlichkeit,
auch nicht ohne Selbstsucht. Das Weib offenbart sich uns nur als Geschle-
chtswesen, nichts adelt es in des Dichters Augen mehr als die volle, be-
denkenlose Hingabe an den Geliebten. Aber seltsam, noch sind die Lieb=
haber (Anatol), die auch schon einmal eifersüchtig zu werden vermögen, mit
dem einen Erlebnis nicht fertig und schon lookt, verlockt ein neues Aben-
teuer. Die müssen Mädeln“ sind eben zum Erholen da, und einer, der sich
erholen will, braucht Abwechselung.
Jetzt haben wir Arthur Schnitzler ganz gefasst, sehen sein Ver¬
hältnis zu Weib und Welt von jedem Blickpunkt aus. Sehr oft hier Reserve
der Dämpfung. Keiner vergibt sich etwas, verhaltenes Liebesgefühl, das
ebenso schnell wieder schwindet, wie es gekommen. Lärm kennt man nicht,
das Weib als Geschlechtswesen spielt die Hauptrolle, vermag aber keinen
Einfluss auf den Liebhaber auszuüben. So flutet alles durcheinander:
Innigkeit und Eleganz, Weichheit und Ironie, Weltstädtisches und Abseitige
ges, Lyrik und Feuilletonismus, Lebensraffinement und volksmässige Schlick
heit, Osterreichertum und Halbfranzösisches, Schmerz und Spiel, Lächeln
und Sterben. Nur eines fehlt, das Suchen und Finden eines Gottes, der
all' diesen irrenden Menschen ein Führer sein könnte. Heute finden wir
kein Verhältnis mehr zu den Gestalten der „Liebelei“,des „Reigen“, und
„Anatol“, sie sind uns ferngerückt. Ein geruhsamer Mensch vermag aber
gewiss in diesen gedämpften, verhaltenen Stücken Schnitzlerscher Gesell¬
schaftsdramatik noch manches kunstvoll geschliffene Meisterwerk zu finden,
wie es in den grobgeschlachten Dramen unserer bewegten Jetztzeit nicht
mehr vorhanden ist. Aber das letzte, lösende und zugleich erlösende Wort
Geht man dann allmählich weiter zu Schnitzlers Spätwerk, so be-
wird nicht gesprochen.
gegnet man, z.B. im „Gang zum Weiher“, einer Wandlung des Dichters vom
sittlichen Relativismus zu strengerer sittlicher Bewertung. Jedoch auch
hier noch wird man eines niemals hinwegleugnen können: dass für Schnitzler
der „Bewegtes“ und Gedämpftes“ meistert, das diesseitige Leben den Wert¬
akzent trägt. Der Über den Augenblick und über das Individuum hinauswei-
sende Sinn fehlt solcher Dichtung -:sie ist ohne Wort Gottes.