A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 92

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sche übertragen und hinübergepflanzt, ganz organisch wirken, weil
sie alltägliche Situationen sind, der junge Mann, die junge Frau,
der Ehemann. Dreieckfiguren in eigenartigsten und lebhaften Va-
rianten. Aber obwohl Meisternovellen, tragen sie doch eigentlich
nicht seine eigene Unterschrift. Erst nach 1900, nach seinem
vierzigsten Jahr,wird Schnitzler der grosse Erzähler.
Vertiefung: Um zu erschüttern muss Schnitzler erst
selbst erschüttert sein. Sein Leben war anfangs vielleicht zu
leicht gewesen,zu eben, zu bequem; Sohn aus guter Familie, im Bür-
gerlichen aufgewachsen,in der Gesellschaft um seines schönen Bar-
tes, seiner ersten Erfolge willen gern gesehen,wird er vom Wirkli-
chen kaum angefasst: die Frau ist im Anfang das einzige Problem.
Um weiter zu gelangen musste er erst Widerstand spüren,er brauch-
te andere Dinge und Erkenntnisse,um sich mit ihnen auseinander-
setzen zu können, als die bloss erotisch gesellschaftlichen,die
seine erste sphäre ausmachten. Er musste näher,viel nä her heran
ans wahrnaft Wesenhafte,tiefer hinein in die Zeit. Die kam ihm
bald entgegen. Das erste Zeiterlebnis, das den jungen Schnitzler
(und noch spät den alten Mann) bis tief unter die Haut berührte,
war der Antisemitismus. Er wurde erst in den Achtzigerjahren,
in den Neunzigerjahren in Wien erfunden, zum ersten Mal wurde da-
mals der Versuch gemacht, das jüdisch. geistige Bürgertum, das völ-
lig heimisch in der Wiener Kultur wohnte, und sich in ihr tätig
und schöpferisch wohl fühlte, mit plötzlicher Gewalt heraus zu
drängen, zu isolieren,zu entwurzeln. Leidenschaftlich das
Oesterreichische liebend, Wien und seiner besonderen Art unlösbar