B4: Auernheimer, Raoul _ Arthur Schnitzler an Auernheimer, Abschrift, Seite 20

26
9-9-
Wien, 17.5.28
Lieber verehrter Herr Doctor - dass mich irgend etwas
in Ihrem Feuilleton "verletzt" hätte - davon kann
keine Rede sein — ich hatte nicht den entferntesten
Anlass dazu, - und sprach auch nur von einer klei-
nen Verstimmung über jene Bemerkung, die mir eben ein
Misverständnis schien. Ihnen dies nicht zu verheh-
len schien mir bei der Beziehung zwischen uns, bei
meiner freundschaftlichen Gesinnung für Sie und
bei der Ueberzeugung von der Ihren für mich, bei
meinem Bedürfnis gegenseitiger völliger Aufrichtig-
keit in dem so seltenen Fall eines menschlich und
künstlerisch reinen Verhältnisses wie es zwischen
uns besteht, selbstverständliche Forderung. Ganz
ohne Verschiedenheit der Ansichten kann es (glück-
licherweise) nicht abgehen - völlig ist Einer über
den Andern seelisch nie informiert, und es kommt
wenig darauf an, einander zu überzeugen - sondern
nur darauf, dass jede Discussion in einer durch
kein Wölkchen der Rückhältigkeit getrübten Atmosphä-
re stattfinde. Ich verlange so wenig von Ihnen, dass
Sie irgendwas "zurücknehmen", wie Sie es von mir er-
warten - wir bleiben die Alten, jeder wie er ist,-
und in gegenseitiger echter und herzlicher Zunei-
gung wie ichs von Ihnen weiss,und ihnen von mir
gern bei dieser Gelegenheit wieder einmal versi-
chere. Ihr getreuer A.S.
- :