B5: Bahr, Hermann_3 Bahr an Schnitzler, Typoskript, Seite 83

-81-
München, 18.2.1930
186
Lieber Arthur!
Wenn ich Dir für die grosse Freude, die mir Dein lieber
Brief bereitet, nur ganz kurz danke, so musst Du das mit meinem elenden
Zustand entschuldigen: ich bin seit Jahren schon immer wenn der Februar
beginnt und so lange bis der April kommt, krank, sozusagen von oben bis
unten uns durch und durch krank; eben jetzt lag ich wieder eine Woche
zu Bett, und das Schlimmste daran ist, dass meine Sehkraft schwindet,
ich bin auf dem rechten Auge schon erbindendund das linke will schon
auch nicht mehr recht seinen Pflichten genügen. "In Bereitschaft sein
ist alles", nun ich bin bereit, aber es ist nicht angenehm.
Deine Bücher habe ich alle, besonders die Sprüche und Beden-
ken sind mir vertraut und wenn ich nicht mit allem "einverstanden" bin,
so weiss ich mich in alles "einzufühlen"
Sag's nicht wueiter, wenn ich Dir gestehe, dass von Jahr zu
Jahr mein Heimweh nach Wien wächst, fast so stark wie das meiner Frau,
die vor Sehnsucht, in Wien zu wirken, fast vergeht. Aber Wien ist ver-
gesslich und so werden wir wohl in der Verbannung sterben.
Herzlichst Dein gedenkend, auch die paar Freunde, die noch
meiner gedenken,bestens grüssend
Dein alter, allzu alter
Hermann
187
München, 20.3.1930
Mein lieber Arthur!
Woltun bringt Zinsch, aber ich bin undankbar genug,
Dir die Woltat, die mir Dein lieber Brief erweist, übel zu vergelten:
durch Jammern über mein Münchner Ungemahh. Du fragst, warum wir nach
München übersiedelten? Wir waren Beide "stellungslos", als ich zur Lei-