B8: Beer-Hofmann, Richard 8.1 Abschrift Arthur Schnitzler an BH, Seite 96

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Edlacher Hof,
2. März 1900.
Mein lieber Richard, vorgestern Abend bin ich hier
angekommen, ich wollte dem Frühling entgegenfahren
und seit gestern schneit und friert es. Immerhin
ist es in der Mittagsstunde schön. Heut sowohl als
gestern bin ich nahezu 6 Stunden spazieren gegangen.
Weniger lang schrieb ich an der Novelle, für die ich
keinen Namen habe. Ihre hab' ich in 2 Etappen gelesen,
die ersten 2 Capital in der Eisenbahn,die letzten 2
gestern Abend auf meinem Zimmer (3.ausser 4. im Bett)
Also glauben Sie mir: es ist ein wundervolles Buch.
Man hat allerdings das Gefühl, als wenn die aneinan-
dergereihten Edelsteine nicht auf einer Schnur,son-
dern auf einem Zwirnsfaden - oder gar nur in der
Luft aneinandergereiht wären — aber man muss nicht
alles als Kette um den Hals tragen können. Im vierten
Kapitel steckt übrigens irgendwo ein frecher Schwin-
del - das dürfte Ihnen nicht unbekannt sein. Sie
setzen sich sozusagen plötzlich an eine andre Orgel,
die auch herrlich klingt - aber das beweist nichts.
Nicht überall scheint es mir geglückt, dass gegen-
wärtiges und erinnertes sich gegeneinander abhebt,
wie es soll; dass man das Bedürfnis hat, das Buch
wieder zu lesen ist ja sehr schön; aber dass man es
entschieden 2-3 Mal lesen muss, ist vielleicht ein
Fehler. Ihre Bilderpracht schreit nach Jamben und
nach Drama. Ja es verlangt mich geradezu, einige von
Ihren Vergleichen in Ihren Stücken wiederzufinden
und sie auf der Bühne sprechen zu hören.- Wunderbar
ist,wie scheinbar belanglose Details zu ihrer Zeit
ausgenützt und nachträglich voll Belang erscheinen.
Das gibt den gewissen Schauer. Ueberhaupt: meiner
Empfindung nach steckt viel mehr Dichterisches in dem
Buch als, wie gewiss vielfach behauptet werden wird,
Verstand. Sie wissen wie ich das meine. So gescheidt