B39: Herzl, Theodor_75 Arthur Schnitzler an Herzl, Abschrift, Seite 5

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Wien, 12. November 892.
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G.F.P.
Verehrtester Freund,
zuerst will ich Ihnen für Ihre liebenswürdigen Worte herzlich
danken, und dann gleich magen, ver Loris ist. Räthselhaft, dass Sie
es von Goldmann nicht wissen. Ich selber bin es leider nicht. Er-
stens wäre ich dann um 12 Jahre jünger und zweitens hätte ich
"Gestern" geschrieben, den schönsten Einakter in Versen, der seit
sehr, sehr langer Zeit in deutscher Sprache erschienen ist. Von
diesem merkwürdigen Achtzehnjährigen wird noch sehr viel gespro-
chen werden. Wenn Sie schon die Einleitungsverse zum Anatol "zum
küssen" finden, so will ich Sie vor den unzüchtigen Gedanken warmen,
die in Ihnen beim Genuss seiner andern Sachen aufsteigen könnten.
In Wirklichkeit heisst der Herr Hugo von Hofmannsthal, hat im Juli
maturiert und studiert Jus an der Wr. Universität. Sie wissen ja,
Verehrtester, wie wenig wörtlich das zu nehmen ist. Wenn es gestat-
tet ist, seiner Biographie vorzugreifen, so will ich Ihnen auch mit-
theilen, dass ich heute Abend nach der Première von Musotte mit
ihm soupieren und ihm von Ihrem freundlichen Interesse erzählen
will. Im übrigen, fragen Sie doch Goldmann nach ihm; - er hat ihn
ja entdeckt! -
- Von Wiener Kunst soll ich Ihnen was berichten? - Nun, die litera-
rische Bewegung äussert sich darin, dass in Wiedner Theater oder
Carltheater Couplats gegen den Naturalismus gesungen werden
l'brutal -!“ „Skundal!*), dass es keine Verleger, keine neuen
Stücke, dagegen sehr viele Kaffechäuser gibt, in denen alle Litera-
ten, denen Vormittags nichts eingefallen ist, Nachmittag ihre Gedan-