B39: Herzl, Theodor_75 Arthur Schnitzler an Herzl, Abschrift, Seite 7

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30.12.92.
Verehrtester Freund,
nehmen Sie meine herzlichsten Neujahrsgrüsse entgegen! Ich sende
Ihnen dieselben mit besonderer Freude, denn wenn ich so die Ergeb-
nisse des heurigen Jahres überschaue, so finde ich, dass jener Brief,
mit welchem Sie sich als einen so liebenswürdigen Betrachter des
Märchen zu erkennen gaben, und zugleich manche Misverständnisse un-
serer bisherigen Beziehungen lösten, zu den wärmsten und wohlthuend-
sten Erlebnissen meines 92er Jahres gehören. Ich stehe in meiner
eigenen Anerkennung noch nicht fest genug, um eine Liebenswürdigkeit
wie die Ihre nicht besonders stark zu empfinden. Es wundert mich
umsomehr, dass Sie mir noch bis zu einem gewissen Grade zu mistrauen
scheinen. Die Gründe, mit welchen Sie mein Ersuchen um einige Ihrer
Arbeiten ablehnen, veranlassten mich zu dieser Bemerkung. Sie, mein
lieber und verehrter Freund, stehen auf meine "reciproke" Anerken-
nung gewiss nicht an, und ich meinerseits glaube vor dem Verdacht
sicher zu sein, aus dem Bedürfnis Revanchefreundlichkeiten auszu-
theilen mich für Ihre Manuscripte zu interessieren. Dass Sie man-
ches Dramatische geschrieben haben, das Sie auch jetzt für gut hal-
ten, geht aus einem Ihrer Briefe mit Sicherheit hervor, und wenn Sie
vor zehn oder zwölf Jahren nicht bezweifelt haben, dass ich mich
für Ihre Stücke interessiere, so liegt heute wohl auch kein Grund
dafür vor. Es wäre doch ganz schön, wenn aus der Formel, welche wir
beide über den Anfang unserer Briefe setzen, auch ein Inhalt flösse.
Einigen wir uns dahin, dass wir durchaus keinen Grund haben, in Phra-
sen miteinander zu correspondieren, und dass jeder Satz, welcher ei-
ner dem andern schreibt diesen verbindlich macht, jenen Satze zu
glauben. Das ist natürlich keine Erpressung, als wenn Sie mir nun un-