B39: Herzl, Theodor_75 Arthur Schnitzler an Herzl, Abschrift, Seite 24

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Wien, 17. Nov. 94.
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Lieber Freund!
Mit Ihrem Stück haben Sie dem Theater ein neues Milieu entdeckt
und haben eine Reihe von Gestalten geschaffen,die Athem des Lebens
haben. Und neue Gestalten - manche an die man sich bis jetzt nicht
herangetraut hat. Die besten Figuren sind die, die aus sich heraus-
reden,ganz naiv; - da haben Sie mit ein paar Strichen glänzend ge-
zeichnet; Charlotte z.B.- Wassermann ist ausgezeichnt; der ist
wohl berufen, Ihnen häufig nachgedichtet zu werden. Dieser aber ver-
fällt gegen Schluss in den Fehler Ihrer Hauptperson; - er erläutert
sich. Sie unterschätzen Ihre Charakterisirungskunst - man kennt
Herrn Wassermann lähgt, bevor er anfängt von sich zu erzählen.
Ueber das Stück als ganzes ist etwas ähnliches zu sagen. Es hat
so viel echtes Leben und ist in seiner Entwicklung so natürlich,
dass Sie auf kleine Absichtlichkeiten der Ausführung wohl verzich-
ten dürften, welche die grosse Absicht des Stoffes verwirren. Am
meisten hab ich in diesem Sinne gegen den Schlussatz des Stückes
einzuwenden, den eigentlichen Schlussatz, den der sterbende Jacob
Samuel zu sprechen hat. Lassen Sie ihn lieber wortlos sterben -
dieser Tod sagt mehr, besseres, ich glaube selbst, was ganz andres
als der sterbende selbst. Der Sterbende sagt: "Juden,Brüder, man
wird euch erst wieder leben lassen, wenn ihr zu sterben wisst.“
Sein Tod aber spricht: Dieser arme Teufel und edle Mensch muss xxx
sich von einem erbärmlichen Haderlumpen einfach deshalb niederschies-
sen lassen - weil er als Juda geboren ist! - Es gab eine Zeit,
wo die Juden zu tausenden auf den Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Sie haben zu sterben gewusst. Und man hat sie nicht leben lassen