B43: Hofmannsthal, Hugo von_3 an Arthur Schnitzler, Abschrift, Seite 63

212.
Grii
Bad Fusch
22. VII. 1904
an Arthur Schnitzler
Lieber,
Hier bin ich wirklich wie unter dem ersten Anhauch der Luft gesund ge-
worden, und von einem inneren Reichtum, dass ich manchmal, gegen Abend
auf eine steile Berglehne hinaufklettern muss, nur das Blut vom Kopf
abzuleiten und den unaufhörlichen Zudrang von Gedanken, Bildern, 11 Situa-
tionen, abzuleiten. Es ist mir schwer, in solchen Zeiten ein Buch zu
lesen. Ich möchte alles, was mir in die Hand fällt, dramatisieren, selbst
den Goethe-Schiller'schen Briefwechsel, oder die Linzer Tagespost.
Das " Gerettete Venedig" habe ich heute abgeschlossen. Was
noch daran zu tun ist, das wenige lässt sich unter dem Abschreiben tun.
Indessen sind aber, wie leuchtende Wolkeninseln hinter den Bergen her-
vor andere Stoffe gestiegen, zum Teil aus dem geheimnisvollen Abgrund
des niemals schlafenden, umbildenden Gedächtnisses: das " Leben ein
Traum" dieser fast zu grosse Stoff, hat seinen tiefen, dem Calderon
fast entgegengesetzten Schluss gefunden, " Pentheus " im Stoff den
Bacchen des Euripides nahe, aber viel reicher und schöner, hat sich
zum Sevenarium gegliedert, zweiactig; "Orest in Delphi“ der Elektra
2 ter Teil zeigt seine Gestalten unheimlich deutlich - mit dieser Fracht
gehe ich am 31, ten nach Markt Aussee, Ramgut.
Lassen Sie mich hier und dort nicht ohne Nachricht.
Ihr Hugo