37
A.S. an H.v.H.
36]
Marienbad, 10.5.95.
Mein lieber Hugo,ich bin in Prag gewesen,in
Karlsbad und nun bin ich hier, wo ich wohl bis
Ende der Woche oder Anfang der nächsten bleiben
werde. Dann erscheine ich in Ischl, Pension Petter,
wo ich hoffentlich eine Nachricht von Ihnen finden
werde. Diese Zeilen werden in einer Dachkammer.
nein, eigentlich in einem Dachsalon geschrieben-
zwei Fenster mit ebenso vielen Aussichten; beide
stehen offen und alles papierne auf dem Tisch
flattert und knittert.- Ich hab mich schon an man
chem schönen freuen können und fühle mich im gan-
zen wohl, ohne in irgend einem Augenblick zu ei-
nem Hochgefühl gekommen zu sein. In Prag das
merkwürdigste ein alter jüdischer Friedhof, der
langsam versinkt. Seit mehr als 100 Jahren be¬
gräbt man dort nicht mehr,und die Grabsteine und
Sarkophage werden langsam von der Erde einge-
schlürft. Einige sind noch zur Hälfte über dem
Boden, von andern sieht man gerade noch die ober
sten Ränder.Alle dicht aneinander, viele schief,
manche gegeneinander geneigt,sich gegenseitig
stützend. Darüber Stille nicht sehr hohe tief-
grüne Bäume, mit so dichtem Laub, als wenn sie
alle zusammen ein Dach sein wollten für diesen
Friedhof, der stirbt.-
Die othnographische Ausstellung: viel interessan-
te Stuben und Costüme.- der Hradschin,da hat
mir ein Führer erzählt, dass man im Volk in Prag
den Kronprinzen Rudolf nicht für todt hält: ein
Lutscher hat ihn im Jahr 91 sogar in die Aus-
stellung geführt, ganz bestimmt, er hat ihn erkannt.
- Ein Hofbediensteter, der gemessen und höflich
erläutert. und der sich, wenn man ihm was unhöfisches
passiert, schnell wieder derfangt. Z.B. wie er den
Fensteretung berichtet; "Hier hat man die drei in
den Graben hinunter geshhmissen, resp. henunterge-
nach
A.S. an H.v.H.
36]
Marienbad, 10.5.95.
Mein lieber Hugo,ich bin in Prag gewesen,in
Karlsbad und nun bin ich hier, wo ich wohl bis
Ende der Woche oder Anfang der nächsten bleiben
werde. Dann erscheine ich in Ischl, Pension Petter,
wo ich hoffentlich eine Nachricht von Ihnen finden
werde. Diese Zeilen werden in einer Dachkammer.
nein, eigentlich in einem Dachsalon geschrieben-
zwei Fenster mit ebenso vielen Aussichten; beide
stehen offen und alles papierne auf dem Tisch
flattert und knittert.- Ich hab mich schon an man
chem schönen freuen können und fühle mich im gan-
zen wohl, ohne in irgend einem Augenblick zu ei-
nem Hochgefühl gekommen zu sein. In Prag das
merkwürdigste ein alter jüdischer Friedhof, der
langsam versinkt. Seit mehr als 100 Jahren be¬
gräbt man dort nicht mehr,und die Grabsteine und
Sarkophage werden langsam von der Erde einge-
schlürft. Einige sind noch zur Hälfte über dem
Boden, von andern sieht man gerade noch die ober
sten Ränder.Alle dicht aneinander, viele schief,
manche gegeneinander geneigt,sich gegenseitig
stützend. Darüber Stille nicht sehr hohe tief-
grüne Bäume, mit so dichtem Laub, als wenn sie
alle zusammen ein Dach sein wollten für diesen
Friedhof, der stirbt.-
Die othnographische Ausstellung: viel interessan-
te Stuben und Costüme.- der Hradschin,da hat
mir ein Führer erzählt, dass man im Volk in Prag
den Kronprinzen Rudolf nicht für todt hält: ein
Lutscher hat ihn im Jahr 91 sogar in die Aus-
stellung geführt, ganz bestimmt, er hat ihn erkannt.
- Ein Hofbediensteter, der gemessen und höflich
erläutert. und der sich, wenn man ihm was unhöfisches
passiert, schnell wieder derfangt. Z.B. wie er den
Fensteretung berichtet; "Hier hat man die drei in
den Graben hinunter geshhmissen, resp. henunterge-
nach