B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 111

Wien, 6.6.1900.
Lieber Herr Schnitzler,
ich muss Ihnen leider vermelden, dass sich Sauer heute
Früh krank gemeldet hat. Er hielt sich gestern nur kaum
aufrecht, und es ist keine Aussicht, dass er so bald
wieder spielt. Ichbliess die Probe von „Freiwild“ an-
fangen, schickte zu Winterstein, der aber nicht gefun-
den wurde und musste, nachdem alle Möglichkeiten erwo-
gen und keine ausreichend befunden wurde, die Probe
aufheben und die Vorstellung absetzen. Ich brauche
Ihnen nicht erst zu sagen, wie sehr ich Ihretwegen
diesen Unfall bedauere, der auch für mich künstlerisch
und praktisch betrüblich ist!
Heute um 1/2 6 wollte Hofmannsthal zu mir kommen und wir
werden vielleicht „weit hinaus“ fahren, wo Sie uns
schwer nachkommen. Ich verständige Sie aber doch noch,
wenn es geht. Sonst nehmen wir wohl den morgigen Abend
in Aussicht, der auf so unerfreuliche Weise frei gewor-
den ist?- Herzlich grüssend Ihr
Berlin, 12. 6. 1900.
Lieber Herr Schnitzler, das Fräulein hat einen innigen
Ton der Empfindung, aber noch ganz wenig Bühnengeschick
ihr Inneres empfiehlt sie mehr als ihr Aeus seres und
ich bin nicht sicher, ob dieses nicht stärke re Hinderun-
gen ihr bringen wird, als jenes Förderung, für ein
norddeutsches Ohr hat auch der Ausdruck ihres an sich
echten Gefühls etwas fremdartig Weiches und leicht
Sentimentales. Alles in allem: Tal ent unbestreitbar;
aber wenn ich ihr Vormund wäre, würde ich doch sagen:
das Kind soll mir nicht zur Bühne - ausser wenn sie
des Geldes wegen muss und nichts Besseres hat - denn
der Erfolg ist zweifelhaft und sie wird, als „Freiwild“,
viel Bitteres fressen müssen.-Jetzt sind wir also
wieder Berliner,wir „Beriner“: komisches Gefühl! Was
macht die Dramatik?
Herzliche Grüsse
Ihres
O.B.
Über mich, Olga.