B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 209

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nicht, wie wir hier das Ideal erreichen könnten?- Prak-
tisch angesehen, in der Oekonomie des Stück es und des Ah-
tes, halte ich die Gestalt nicht für sehr entscheidend, die
Wirkung oder Nicht- Wirkung wird mehr vom Oberst und
von Max ausgehen, als von ihr.- Nicht gern, aber in Er-
mangelung besserer Mögl ichkeiten, frage ich Sie also,
ob wir es nicht mit der (sehr zu schulenden und zu
stimulirenden) Schiff wagen wollen? (So muss denn doch
die Hexe dran). Sie hat freilich im „Zwischenspiel“
uns nicht erfreut; aber sie hatte,wie sich später he-
rausstellte, damals andere Dinge im Kopf,glaubte die
kleine Scene leicht nehmen zu dürfen, während sie dies-
mal fühlen würde, dass es für sie und Sie viel gilt,-
sagen wir,Graz und noch etwas,
Noch haben Sie mich in Ihrer Situation mit dem
Burgtheater um Rath gefragt - ja lieber Freund, da ist
schwer rathen, Mir scheint es, dass Schl. wirklich nicht
recht auf den Geschmack gekommen ist, und dass er demnach
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seinen persönlichen Eindruck an dem der ersten Aufführung
noch kontrollieren will. Wie viel das Burgtheater, wie-
viel das Völksth. Ihnen werth ist aber, das wissen Sie
doch schliesslich besser als ich!
Ich habe heute Hugo's Akt in der Neuen Rundschau
gelesen, und stehe noch ganz unter diesem Eindruck, der
von der Gestalt des Oedipus ein aus serordentlich starker
ist. Das Ganze vielleicht kein so einheitlicher Wurf
wie Elektra, aber doch ein sehr erfreuender Ausdruck
seiner wachsenden undreifenden Kraft.
Alles Gute für 1906.
Herzlichst
O.B.