B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 208

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Berlin, 30.12.1905.
Lieber Freund,
auch ohne Ihren Mahn- und Weckruf hätte ich Ihnen jetzt
geschrieben. Somoff hat endlich die Sprache wiedergefun-
den,aber leider nur,um mitzutheilen, dass er „die Arbeit
nicht übemehmen könne"; Cassirer ist nun doch auf Wal-
ser zurückgekommen, der seiner Meinung nach Mitte Januar
an die Skizzen herangehen und sie dann schnellstens lie-
fern könnte. Da wir dann grade noch zu recht kämen für
den „Feber", habe ich C. ersucht, das Weitere zu veranlas-
sen, worauf ich nun aber heute wieder erfahre, dass W.
„auf einige Tage" verreist sei. Sollte es mit ihm doch
nichts werden, trete ich mit Cristoph in Verbindung, zu
dem auch Heilb-ast ich habe mir erlaubt, ihm das Stück zu
geben, das ihm einen sehr starken Eindruck machte - sei-
nen Segen aussprach. Ich selbst habe den „Ruf“ auch noch-
mals mit Freude gelesen; was den 3.Akt anbelangt, so bin
ich zwar nicht der Bühnenwirkung sicher, trotz vieler fei-
ner, neuer Momente, -zu irgend welchem Einwand im Einzel-
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nen habe ich aber gar keinen Anlass.- Die Triesch, die
sich auf Marie freut, petitionirt sehr um ein Buch; kön-
nen wir bald Exemplare haben?
Die präsumtive Katharina ist am Mannheimer Thea-
ter gewesen,hat dort den Tenoristen Kraus geheiratet
und lebt hier mit ihm, drängt wieder zur Bühne. Talent
hat sie und sieht gut, wenn auch nicht grade schwind-
süchtig aus; schöne Augen. Sie studiert die Rolle und
nächst ens soll sie sie sprechen.
Nun aber Jrene - das ist ein schwieriger Fall.
Schwierig insofern, als die Schauspielerin, die die
eigentümlich gequälte Leidenschaft der Gestalt stilvoll
herausbrächte,mir nicht bekannt ist; wäre sie mir aber
bekannt und erreichbar, so würde mein Wunsch, sie zu gewin-
nen, höchst wahrscheinlich daran scheitern, dass sie die
kleine, im schauspielerischen Sinne nicht dankbare Rolle
nicht übernehmen würde! Diese Erwägung ist schmerzlich,
wie jeder Verzicht auf das Vollkommene, aber ich sehe