B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 320

Votre trèsse •, ils että
30.9.96.
Mein verehrter Herr Direktor,
heute will ich Ihnen die Gründe sagen, welche mich be-
stimmen, bei meinem ursprünglichen Schluss zu bleiben,
und zu denen sowohl Gründe der äusseren als der inne-
ren Wahrheit gehören. Wenn ich die Sache für mich verein-
fachen wollte, könnte ich mich darauf berufen, dass mir
die Hauptfabel, die Linie des Stücks schon vor Jahren
sowie sie heute da ist, eingefallen ist und das s mir
nie ein anderer Abschluss in den Sinn gekommen ist
als der jetzt vorliegende.Es ist also offenbar tief
in meinem Gefühl gewesen, dass mein Held nicht als Sie-
ger sondern als Märtyrer enden muss, wenn die Idee der
Fabel wirklich herauskommen soll. Aber jetzt, wo ich ge-
drängt bin, dieses Gefühl auf seine Berechtigung hin zu
untersuchen, wird mir erst klar, in wie lebendigen Moth-
wendigkeiten es wurzelt.-Paul vertritt das rein mensch-
liche; Karinski das Vorurtheil einer verhältnismässig
kleinen Menschenklasse; dass der Vertreter rein mensch-
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licher Anschauungen gegenüber dem Vertreter beschränk-
ter oder herrschender Anschauungen unterliegt, ist ein
nothwendiger und darum tragischer Abschluss.An dieser
tragischen Nothwendigkeit wird nichts dadurch geän-
dert, dass in einem speziellen Falle der Vertreter der
„reinen Menschlichkeit" durch zufällige Geschicklich-
keit oder Kraft Sieger bleiben mag; der typische Fall
bleibt, dass soziales Uebereinkommen mächtiger ist als
Verstand und Recht. Aber in unserm Fall kommt noch da-
zu, dass auch äussere Motive den Untergang Pauls herbei-
führen.Karinski ist derjenige von beiden, der glühender
hasst und gewiss auch der gewandtere und rücksichtslo-
sere.Er wird sich Paul nicht zuvorkommen lassen.Paul
ist kein „Trottel“, wenn er nicht früher schiesst, son-
dern er ist, was in seinem Wesen ganz begründet liegt,
weniger entschlossen und weniger rasch.Ohne weiteres
gestehe ich Ihnen zu, dass für den Moment dem Publikum