B16: Brahm, Otto 1b Arthur Schnitzler an OB, Abschrift, Seite 327

(23.5.97.)
sich mir meistens meine Stoffe, und die Leute, die ich
nicht
zu schildern versuche, scheinen die Kraft zu haben, gegen
das Schicksal aufzukommen. Man muss entweder von einer
wunderbaren Heiterkeit erfüllt sein oder von einer
überlegenen Melancholie oder von einem edeln und gros-
sen Hass gegen alles Gesindel, einem Hass, der nicht zu-
gleich die Einsamkeit fürchtet,- um eine wirkliche Ko-
mödie schreiben zu können. Ich aber bin vorläufig ein
Hypochonder, zu egoistisch, um das wahre Trauerspiel,
zu leicht verstimmbar, um das wahre Lustspiel hervorzu-
bringen - sagen Sie's nicht weiter und beachten Sie
das etwas unverschämte „vorläufig“. - Ich hoffe sehr,
Hirschfeld, von dem ich schon lange nichts höre, bei
meiner Ankunft in Wien noch anzutreffen; es war davon
die Rede, dass er radfahren lernen und mit mir ins Rie-
sengebirge fahren sollte. Nach dem Bicycle und nach dem
Arbeiten habe ich eine aufrichtige Sehnsucht.
(23.5.97.)
Von der hiesigen Schauspielkunst hab ich grosse Ein-
drücke begonnen; sehr mässige von der dramatischen. Man
spielt Feuilletons und Leitartikel - entzückende Feuil-
letons und geistreiche Leitartikel; aber diese Dinge
versuchen kaum Stücke zu sein. „Namen nennen“ ruft man
im Parlament gelegentlich solcher Angriffe. Bitte,
hier sind sie, die Feilletons waren Donnay's „Douloureuse
Guiche's „Suob", Hernants „Carriere“, die Leitartikel
waren Hervieu's Tenailles und Loi de l'homme. Ganz
charakteristisch ist es, dass beinahe alle Akte aller
dieser Stücke in Zimmern spielen - und dass diese Zim-
mer den Blick nicht einmal auf die Strasse, sondern
meist auf den eignen Garten haben. Es weht nicht die
Luft der Welt, kaum die der Stadt um die Menschen, die
da auftreten; sie athmen alle nur Parfums ein und aus,
Und wenn sie abgehn, versinken sie in den Abgrund; es
führt kein Weg ins Leben durch die Thüren und Gärten.