86 [2 copii] Wien, 27.12.1909.?
Lieber Freund!
Der Ernstfall, dessen Erscheinen ich in meinem letzten
Brief an Sie für möglich hielt, hat nicht lange auf sich
warten lassen. Vorgestern bekam ich von Schlenther den
folgenden Brief:
Sehr gehrter Herr Doktor. Wenn Sie die heutigen Mor¬
genblätter gelesen haben, so wird Ihnen der eigentliche
Grund klar werden, weshalb ich mit der Annahme des
„Jungen Medardus" so lange gezögert habe. Auch wenn
die technischen und Zensurschwierigkeiten überwunden
sind, so enthält das Stück doch eine so enorme Arbeit,
dass ich es nicht verantworten kann sie meinem präsum-
tiven Nachfolger aufzubürden, ohne dass er vorher hat
Stellung dazu nehmen können. Mir selbst wäre es sehr
erfreulich und wünschenswert gerade mit diesem Stück
Abschied zu nehmen. Das würde aber einen Termin bedeu-
ten, auf den Sie wohl nicht eingehen möchten. Denn da
die neusintretenden Schauspielerinnen, die für die bei-
V. 11/1.
27.12.09.
den Hauptrollen in Betracht kommen, erst im Frühjahr
disponibel sind, so könnte die Aüfführung keinesfalls
vor Ende April sein, möglicherweise sich aber auch bis
in den Mai hinausschieben. Wie Sie mir schon andeute-
ten, würden Sie den Herbsttermin bevorzugen, der aber
fiele keinesfalls mehr in meine Zeit. Vielleicht löst
sich die Schwierigkeit durch eine persönliche Unterre-
dung, zu der ich Sie bitten werde, sobald ich von einer
kurzen Reise nach Berlin, die ich heute antrete, zurück-
gekehrt sein werde."
Aus diesem Brief geht also hervor, dass Sch. eine offi-
zielle Annahme des Medardus zu vermeiden wünscht und es
wäre mir natürlich von grossem Wert, wenn ich ihn dem
gegenüber erinnern könnte, dass er sich zu Ihnen geäus¬
sert, er würde mir, wenn Zensur und Drehbühne stimmen, (was
nun der Fall ist) einen Brief mit Termin schreiben, durch
den sich auch sein Nachfolger gebunden fühlen müsste.
Obwohl ja bei den Vertrags- resp. bei der Tantièmen-
revers-Verhältnissen des Burgtheaters von einer solchen
Lieber Freund!
Der Ernstfall, dessen Erscheinen ich in meinem letzten
Brief an Sie für möglich hielt, hat nicht lange auf sich
warten lassen. Vorgestern bekam ich von Schlenther den
folgenden Brief:
Sehr gehrter Herr Doktor. Wenn Sie die heutigen Mor¬
genblätter gelesen haben, so wird Ihnen der eigentliche
Grund klar werden, weshalb ich mit der Annahme des
„Jungen Medardus" so lange gezögert habe. Auch wenn
die technischen und Zensurschwierigkeiten überwunden
sind, so enthält das Stück doch eine so enorme Arbeit,
dass ich es nicht verantworten kann sie meinem präsum-
tiven Nachfolger aufzubürden, ohne dass er vorher hat
Stellung dazu nehmen können. Mir selbst wäre es sehr
erfreulich und wünschenswert gerade mit diesem Stück
Abschied zu nehmen. Das würde aber einen Termin bedeu-
ten, auf den Sie wohl nicht eingehen möchten. Denn da
die neusintretenden Schauspielerinnen, die für die bei-
V. 11/1.
27.12.09.
den Hauptrollen in Betracht kommen, erst im Frühjahr
disponibel sind, so könnte die Aüfführung keinesfalls
vor Ende April sein, möglicherweise sich aber auch bis
in den Mai hinausschieben. Wie Sie mir schon andeute-
ten, würden Sie den Herbsttermin bevorzugen, der aber
fiele keinesfalls mehr in meine Zeit. Vielleicht löst
sich die Schwierigkeit durch eine persönliche Unterre-
dung, zu der ich Sie bitten werde, sobald ich von einer
kurzen Reise nach Berlin, die ich heute antrete, zurück-
gekehrt sein werde."
Aus diesem Brief geht also hervor, dass Sch. eine offi-
zielle Annahme des Medardus zu vermeiden wünscht und es
wäre mir natürlich von grossem Wert, wenn ich ihn dem
gegenüber erinnern könnte, dass er sich zu Ihnen geäus¬
sert, er würde mir, wenn Zensur und Drehbühne stimmen, (was
nun der Fall ist) einen Brief mit Termin schreiben, durch
den sich auch sein Nachfolger gebunden fühlen müsste.
Obwohl ja bei den Vertrags- resp. bei der Tantièmen-
revers-Verhältnissen des Burgtheaters von einer solchen