B118: Zweig, Stefan, Seite 13

BALZBURG
KAPuzINERBERG 5
2. Blatt, 15. Mai 1928.
lichen Roman entgeht mir natürlich nicht, nämlich dass im Roman alle
Gestalten auf Wiederkehr gestellt sind, also dramenhaft, während hier
die meisten nur einmal episodisch auftreten und dadurch leichter
dem Gedächtnisse verschatten - mir fliessen die einzelnen Familien
der Lehrerin in der Erinnerung schon ein wenig zusammen,- aber dies
war nicht zu vermeiden, denn sie bædeuten ja nichts als Meilensteine,
um den Weg zu messen. Sie wissen so viel von den Geheimnissen der
epischen Prosa, dass Sie da mit Sparsamkeit gearbeitet haben, wo ein
anderer in breiten Milieuschilderungen sich und die Leser erschöpft
hätte, und ich glaube, dass die gewisse Silhouettenhaftigkeit der
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Nebenfiguren gegenüber der Prägnanz der Hauptgestalten Ihre rechte
und richtige Einsicht war.
Lassen Sie sich nun ruhen auf solcher Leistung, die für
uns Jüngere gleichzeitig eine Lehre bedeutet. Wie wunderbar, dass Sie
aus solcher Fülle schöpfen können, und das selige Spiel des Erfin-
sir
dens Ihnen fast noch leichter als in den jugendlichen Jahren
gewährt. Könnte dies Buch meine seit den Knabenjahren rein bewahrte
Verehrung und Liebe noch erhöhen, so hätte es dies gewisslich in
mir getan, aber vielleicht ist schon jene kristallene Festigkeit
des Gefühls vorhanden, die durch ein gelungenes Werk nicht mehr
gesteigert und durch ein misslungenes nicht mehr gemindert werden
könnte. Seien Sie dieser meiner lautersten und in ihrer Unabänder-
lichkeit verlässlichen Gesinnung aufrichtig gewiss! Und erlauben
Sie mir, das, wenn ich nächstens nach Wien komme, ich Ihnen noch
glückwünschend die Hand reiche.
Treulichst Ihr
Refan Zweig