A53: Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 22

die nicht nur nach Intensität und Dauer zu
wechseln pflegen, sondern auch eine Neigung
zeigen, zeitweise oder endgültig zu verschwin-
den; — oder sich, unter dem Einfluß von be¬
stimmten Erlebnissen, in ihren wirklichen oder
scheinbaren Gegensatz zu verkehren.
Es gibt gewisse Charakteranlagen, von
denen man a priori annehmen möchte, daß sie
sich ausschließlich bei den Repräsentanten de
positiven oder ausschließlich bei den Repräsen¬
tanten der negativen Typen fänden; ebenso wie
wir eine solche Ausschließlichkeit für gewisse
Begriffe annehmen durften; — wie wir also
z. B. Wahrheit, Dämonie, Opfermut, Erlebnis
usw. ausschließlich dem positiven, — Lüge,
Satanie, Egoismus, Neusation usw. nur dem
negativen lypus zugehörig erkannten. Dies an-
zunehmen, wäre aber ein Irrtum. Es gibt kaum
irgendeine Charakteranlage, deren Vor-
kommen auf die Repräsentanten des positi¬
ven, oder auf die Repräsentanten des negati
ven Typus beschränkt wäre.
Doch gibt es Affinitäten zwischen ge-
wissen Geistesverfassungen und ge-
wissen Charakteranlagen. So ist z. B. eine
priesterliche Geistesverfassung ohne Güte kaum
vorstellbar, eine Anlage, die wir überhaupt bei
den Typen des positiven Gebietes nicht selten
antreffen werden, während wir auf dem negati-
ven Gebiet wohl niemals wirklicher Güte, häufig
genug aber der Gutmütigkeitbegegnen, die so
oft mit ihr verwechselt wird, und meist nur
Schwäche bedeutet.
Die Eigenschaften nehmen eine Mittel-
stellung ein zwischen Anlagen und fließenden
Seelenzuständen, und es ist die Frage, ob wir
sie überhaupt als einen Seelenzustand sui generis
betrachten sollen und dürfen.
Keineswegs läßt es sich immerleicht entschei¬
den, ob irgendeine seelische Eigenschaft als
Charakteranlage oder als fließender See
lenzustànd im engeren Sinne anzusprechen
ist und ob wir in einem bestimmten Fall uns
einem fließenden Seelenzustand oder
einer Stimmung gegenübersehen. Die Unter-
scheidung ist um so schwerer, als ein fließen
der Seelenzustand sich allmählich zu eine
Eigenschaft auszubilden vermag (z. B. MiB-
trauen, Verbitterung), und daß eine Stimmung
durch öftere Wiederholung die Bedeutung eines
fließenden Seelenzustandes, wenn nicht
gar einer Eigenschaft gewinnen kann.
Es gibt Eigenschaften, denen wir unter
den Typen des positiven Gebiets häu
figer als Charakteranlagen, unter den Ty
pen des negativen Gebiets meistens nur als
Stimmungen oder fliebenden Seelenzu
ständen begegnen werden.
Wenn eine Anlage oder eine Eigenschaft oder
ein fließender Seelenzustand innerhalb eines Per-