A53: Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 21

dem Geist im Wort und mit dem Geist in
der Tat befassen. Selbstverständlich aber gibt
es auch unter den Musikern Geistesmenschen,
d. h. Repräsentanten irgendeiner Geistesver-
fassung, wie wir andererseits oft genug, auch unter
den Angehörigen der sogenannten geistigen Be¬
rufe, Menschen finden, die nicht den Geistes¬
menschen zuzuzählen sind.
Die Seelenzustände unterscheiden wir in
Charakteranlagen, zu denen auch die Tempera¬
mente gehören, seelische Eigenschaften, fließen-
de Seelenzustände und Stimmungen. Und mit
dieser Reihenfolge ist zugleich in absteigender
Linie der Grad ihrer Veränderlichkeit
und das Maß ihrer Wichtigkeit für die Ge¬
samtpersönlichkeit angedeutet. Absolute
Unveränderlichkeit aber, wie sie ein Kenn-
zeichen der Geistesverfassung bildet, kommt
den Seelenzuständen in keinem Falle
zu, nicht einmal den Charakteranlagen, wenn
auch deren relative Veränderlichkeit nur in Aus¬
nahmefällen zur Erscheinung kommt oder prak-
tische Geltung gewinnt.
Als Beweis für den Umstand, daß nicht ein-
mal den Charakteranlagen absolute Unveränder-
lichkeit zukommt, darf vielleicht gelten, daß es
gewisse Gehirnkrankheiten gibt (Paralyse), bei
denen zuweilen als erstes — und nicht immer
gleich richtig gedeutetes — Symptom eine Wand¬
lung des Charakters zu konstatieren ist, ja, wo
sich der Charakter geradezu in sein Gegenteil
zu verkehren scheint. (Wenn z. B. ein milder,
besonnener Mensch sich in einen jähzornigen,
bösartigen, oder ein Geizhals in einen Ver¬
schwender verwandelt.) Eine Geistesverfas¬
sung kann wohl durch eine Gehirnkrankheit
zerstört, aber sie kann niemals in eine an¬
dere verwandelt werden. Kein Sophist ist
jemals durch eine Gehirnkrankheit zum Philo-
sophen, kein Priester zum Pfaffen,kein Kontinua-
list zum Aktualisten geworden usw.
An dieser Stelle sei die Tatsache erwähnt, daß
in sehr seltenen Fällen erst ein Trauma, z. B.
ein Schlag auf den Kopf, zur Entwicklung einer
spezifischen, insbesondere musikalischen Bega-
bung Anlaß gegeben, resp. daß unter der Ein-
wirkung eines solchen Traumas die Begabung
erst zum Vorschein gekommen sein soll.
Die Charakteranlagen, am wenigsten die
sogenannten Temperamente, sind auch dort, wo
nicht gerade von Veränderlichkeit die Rede sein
kann, beeinflußbar nicht nur vonaußen,
sondern auch von innen her. Eine Charakter
anlage entwickelt sich weiter oder bildet sich
zurück, in beiden Fällen kann hierbei-der eigene
Wille mitwirken, der freilich selbstwieder eine
Charakteranlage bedeutet.
Fließende Seelenzustände sind solche,