A53: Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 25

zustände, die am stärksten von äußeren Einflüs-
sen abhängig und von verhältnismäßig vorüber¬
gehender Natursind, wie Lustigkeit, Verdrossen¬
heit, Zorn usw. — Stimmungen, die sich häufig
wiederholen, auch ohne ersichtlichen oder ge¬
nügenden äußeren Änlaß, deuten auf eine vor-
handene Anlage hin.
Oft genug entwickeln sich unter dem Einfluß
äußerer Schicksale Stimmungen allmählich
über einen fließenden Seelenzustand
hinaus zu Eigenschaften, die unausrottbar
werden, wie eine Charakteranlage wirken und
gleiche Bedeutung beanspruchen. Eine solche
Entwicklungsmöglichkeit ist für Stimmungen
negativer häufiger gegeben als für solche positi-
ver Art. Aus Stimmungen der Gekränktheit, der
Verbitterung, des Grolls entwickeln sich also bei
häufiger Wiederholung leichter die entsprechen-
den fließenden Seelenzustände (z. B. Verbitte-
rung oder Eigenschaften, z. B. Mißtrauen) als
sich etwa aus einer Reihe von vergnügten, und
lustigen Stimmungen ein dauernder Seelenzu¬
stand der Heiterkeit herausbildet.
Mit diesen flüchtigen Bemerkungen sollte eine
Systematik der Begabung und Seelenzustände
keineswegs gewagt werden. Worauf es hier an-
kam, das war nur durch einzelne Beispiele die
Beziehungen und Affinitäten aufzu-
zeigen, die begrifflich und praktisch zwischen
den Geistesverfassungen einerseits und
den Begabungen und Seelenzuständen
andererseits bestehen und darauf hinzudeuten,
wie notwendig es scheint, die Geistesverfassung
einerseits, die Begabungen und Seelenzustände
andererseits auseinanderzuhalten, um das innerste
Wesen einer Persönlichkeit richtig erfassen
und den angeborenen einheitlichen unveränder-
lichen Typus als solchen feststellen zu können.
Denn wie die Persönlichkeit des Geistes-
menschen im allgemeinen bestimmt wird durch
Geistesverfassung, Begabungen (allgemeine und
spezielle), und Seelenzustände (Charakteranlagen,
fließende Seelenzustände, und Stimmungen),
endlich auch in geringerem Grade durch äußere
Erscheinung und körperliche Eigenschaften; —
so wird die Einmaligkeit einer Persönlich¬
keit bestimmt: erstens durch das Maß, in dem all
diese Elemente in ihr vorhanden sind, zweitens
durch das Verhältnis dieser Elemente zueinander
und drittens durch ein Inkommensurables,
das wir, sei es nun in religiösem oder in philo-
sophischem Sinn vielleicht als das Göttliche,
oder auch Teuflische bezeichnen dürfen.
Doch ist dieses Inkommensorable einer be¬
stimmten Persönlichkeit vermutlich nichts an-
deres als eben das einmalige gerade und aus-
schließlich in ihr zutage tretende Verhältnis
dieser Elemente zueinander.
18,
Schnitzler, Diogramm
S. Fischer, Berlin.
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