Med. Krit. 61
Der Chronist,der einen Blick auf
das vergangene Jahr zurückwirft,und sich
fragt, was er in die fortlaufende Kulturge-
schichte des ärztlichen Standes eintragen
dürfte,wird vor allem auf ein grosses Blatt
die Geschichte jenes unseligen Streites auf-
zeichnen müssen, der am Krankenbette des Kai-
sers Friedrich begann.um an seinem kaum ge-
schlossenen Grabe erbitterter fortzudauern.
Geiss ist eins, dass dieses Blatt eines der
traurigsten in der Geschichte unseres Standes
bildet. Alle anderen Vorgänge des verflosse-
nen Jahres erscheinen unbedeutend gegenüber
den eben erwähnten,die durch Monate die po-
litischen und medizinischen Blätter mit ihrem
Wiederhalle füllten. Auch anderwärts hat sich
nichts zugetragen,was die innere Festigung
und das äussere Ansehen der medizinischen
Welt erhöhen könnte.
Wir haben hiemit freilich
nur die ethische Seite unserer Standesinteres-
sen berührt. Aber das ist s,was auszuspre¬
chen uns zumeist am Herzen lag. Denn wir
zweifeln keinen Augenblick, dass man auch im
nächsten Jahre neue Bazillen und neue Medika-
mente entdecken wird. Man wird in den Labora-
torien und auf den Kliniken rüstig weiter-
arbeiten; man wird den Geheimnissen des Le-
bens und des Todes immer näher kommen. Wir
werden auch im nächsten Jahre viele grosse
Aerzte unter uns haben - aber wir fürchten,
nur wenig grosse Menschen.
A.S.
Wien, den 31. Dezember 1888.
(Inter.kl.Rundschau,1889,III.Jahgg.,Nr.1.)
Der Chronist,der einen Blick auf
das vergangene Jahr zurückwirft,und sich
fragt, was er in die fortlaufende Kulturge-
schichte des ärztlichen Standes eintragen
dürfte,wird vor allem auf ein grosses Blatt
die Geschichte jenes unseligen Streites auf-
zeichnen müssen, der am Krankenbette des Kai-
sers Friedrich begann.um an seinem kaum ge-
schlossenen Grabe erbitterter fortzudauern.
Geiss ist eins, dass dieses Blatt eines der
traurigsten in der Geschichte unseres Standes
bildet. Alle anderen Vorgänge des verflosse-
nen Jahres erscheinen unbedeutend gegenüber
den eben erwähnten,die durch Monate die po-
litischen und medizinischen Blätter mit ihrem
Wiederhalle füllten. Auch anderwärts hat sich
nichts zugetragen,was die innere Festigung
und das äussere Ansehen der medizinischen
Welt erhöhen könnte.
Wir haben hiemit freilich
nur die ethische Seite unserer Standesinteres-
sen berührt. Aber das ist s,was auszuspre¬
chen uns zumeist am Herzen lag. Denn wir
zweifeln keinen Augenblick, dass man auch im
nächsten Jahre neue Bazillen und neue Medika-
mente entdecken wird. Man wird in den Labora-
torien und auf den Kliniken rüstig weiter-
arbeiten; man wird den Geheimnissen des Le-
bens und des Todes immer näher kommen. Wir
werden auch im nächsten Jahre viele grosse
Aerzte unter uns haben - aber wir fürchten,
nur wenig grosse Menschen.
A.S.
Wien, den 31. Dezember 1888.
(Inter.kl.Rundschau,1889,III.Jahgg.,Nr.1.)