B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 20

28 Kopenhagen, 18.12.1910.
Märnege
Verehrter Freund.
11.4.1911.
Wenn ich Sie lese, tut es mir leid, dass ich so weit von Ihnen wohne
und so selten Gelegenheit habe, mit Ihnen einige Worte zu wechseln.
Medardus habe ich sehr genau gelesen, laut vorgelesem, um es recht zu
würdigen. Sie haben dort ein reiches Bild aufgerollt. Mit Ueberraschung
und Freude erfuhr ich aus einer Zeitungsnotiz, dass das Stück trotz
seiner epischen Anlage erfolgreich aufgeführt worden ist. Die - im
Goetheschen Sinn über Kleist - fesselnde "Verwirrung des Gefühls" in
Medardus ist so recht Ihre Domäne. Sehr fein ist die schwache Andeu-
tung einer geistigen Verwandtschaft zwischen Helene und Napoleon.
Die ganze Wieneratmosphäre vor 100 Jahren haben Sie geben wollen. Und
es Ihnen besonders am Herzen, zu zeigen, auf
wenn ich nicht irre,
welchem Hintergrund von Spiessbürgerlichkeit und lässiger Frivolität,
men, und auf welchem Hintergrund von unnationa-
die in Wien zu Haus
lem Wesen und Gehorsam dem Eroberer gegenüber, die in Deutschland her-
vortraten, der Heroismus einiger Wenigen sich geltend macht. Eine nach-
sichtige Menschenverachtung durchdringt das Schauspiel, und findet u.a.
in mir ein Echo.
Ich möchte immer gerne wissen, wie es Ihnen geht und wie er Beer-
Hofmann geht, den ich (vor 16 Jahren, glaube ich) mit Ihnen kennen
lernte.
Ueber mich selbst ist nichts Interessantes, wenigstens nicht besonders
Gutes zu melden. Ich bin nicht krank. Haben Sie für die Freude Dank,
womit Sie bei jeder neuen Arbeit auch an mich denken.
Ich bin Ihr unveränderlicher Freund
Georg Brandes.
(6.10.11)
G.H.F.P
décret des
29
H.C.F.P
Kopenhagen (nicht Havnegade)
11.4.1911.
Verehrter Herr und Freund.
Heute schickte ich Ihnen eine Bagatelle, die ich über Ihr
hier aufgeführtes Ballet geschrieben habe und legte eine andere
Bagatelle anbei. In deutscher Sprache habe ich sonst Nichts.In
Deutschland habe ich nicht einmal mehr einen Verleger. Ich gab in
diesen Tagen eine Broschüre heraus, aber Sie lesen ja leider nicht
Dänisch. Ihr grosser Brief machte mir Freude. Wie schön dass es Ihnen
endlich gut geht. Nur die Schwerhörigkeit gefällt mir gar nicht.
Es ist lumpig von den höheren Mächten, mit Solchem sich schadlos zu
halten.bindung mit der N.fr. Presse stehe
leht immer als al-
Mir geht es nicht eben strahlend, aber ich bin nicht krank.Adres-
se von jetzt bis weiteres Hotel Lukretia, Boulevard Raspail,Paris.
Ich drücke Ihre Hand in alter Freundschaft
als Sie allein.
Ihr ergebener
Wien gewiss sich
Meine Bitte ist also: fordern Sie, lieber
chmmächtiger Meister, irgend einen Journalisten auf, das Fri.rrezor
(in der Truppe von Susanne Depfés) zu interwiewen und für sie ein
wenig Stimmung zu machen.
Dies ma corvée.
Aber ich mag nicht dieslangweilige Zeug abschicken ohne Ihnen aufs Haus
zu sagen, wie lieb ich Sie trotz der Entfernung und meines Alters habe,
und wie gerne ich Sie wiedersähe.
Ich habe in Italien, Frankreich und Dänemark in diesem Frühjahr 3 Mona-
te durch Venenentzündung verloren. Ich war jetzt in Schottland, weil die
Universität St. Andreas mich à l'occasion seines 500 jährigen Bestehens
zum Ehrendoktor ernannt hatte. So sah ich allerlei Malerisches im Schott
land.