Kopenhag
(Havnegade)
19. Oktob
" " "
Frl.Prozer
Mein verehrter Freund.
Ihr Schauspiel und Ihr Brief haben mich beide tief bewegt. Der
Brief, weil er so herzlich war und weil ich, seit lange von allerlei
Unglück und Missgeschick verfolgt, für Herzlichkeit sehr empfänglich
bin, das Schauspiel, weil es mir das Werk eines Meisters scheint, voll-
reifers - es ist lange her - in 1885, als ich
unsist wohl
Diese Menschen, die Sie dort darstellen, stehen vor Augen als
wirkliche individualitäten, voll und rund und originell.
Mit Eigen-
schaften und Eigenheiten, die ein Ensemble ausmachen. Die
benfi¬
guren wie Natter, oder die amüsant Karikierten, wie Rhon und Serknitz,
sind nicht weniger unvergesslich, als die tiefsinnig stu-
en und
rätselvollen wie Friedrich, Genia und die eine ganze Seele, Erna.
Ich würde nichts darüber schreiben können, das etwas hinzufügte an
die Wirkung, und nichts, das irgend etwas erklärte, denn al
les er-
einen Pfendig.h.
klärt sich von selbst. Land bekommen
ehe mit keiner
Sie lieben es, die Nebentriebe und Nebenpassionen zu verfolgen,
die Sprüngen und Seitensprünge des Geföhlslebens, alles Getheilte
das von dem Hauptstamm sich ablöst, auszubreiten. Die Welt, so gese-
hen, ist auf eine spezielle Weise traurig. Meiner Gefühlart nach wäre,
um das Bild zu supplieren, auch das Erhebende, das ab und zu, wenn
auch sehr selten uns begegnet, ich meine: das, was das Leben erträg-
lich machte, mit in Rechenschaft zu ziehen. Ich bin, glaub ich, im
Ganzen hessimistischer als Sie, aber dennoch empfinde ich eini
Ruhepunkte, und man muss das, soll man sich nicht töten. Man muss z.B.
jemand vertrauen können; in der hier vorgeführten sehr reichen und
schillernden Welt, ist aber jedes Vertrauen unmöglich; alle arbeiten
sich von ihren Neigungen und Bänden los.
Georg Brandes.
(19.10.11)
- 2 -
Haben Sie Dank, dass Sie sich um das mir unbekannte Frl. Prozor
bemühten, und dass Sie ihr so nützlich waren.
Sie irren sich wenn Sie glauben, ich möchte nicht gern nach
Wien kommen. Im Gegenteil. Wien hat immer für mich eine grosse An-
ziehungskraft gehabt; ich habe dort sehr angenehme Stunden verlebt,
besonders - es ist lange her - in 1885, als ich den alten Gompertz
kennen lernte. Später einmal, ich weiss nicht wann, es ist wohl
20 Jahre her, luden Sie sich zu mir ein, und es war bei Ihnen eine
Herrengesellschaft spät Abends, wo viele, die später berühmt ge-
worden, zusammen waren: Hoffmannsthal, Wasserman und andere. Sonst
habe ich in Wien nur bei Gompertz Menschen gesehen. Ich kenne ja Nie-
mand dort. Aber ich bin in der Regel wie in einem Schraubenstock,
ich kann nicht fort, wenn ich wolte, was zu weitläufig zu erklären
ist. Leichter zu erklären ist dass ich eigentlich nie Geld zu meinen
Reisen habe. Aus Deutschland bekomme ich nie einen Pfennig, habe dort
deit lange nicht einmal mehr einen Verleger und stehe mit keiner
Zeitung in Verbindung. In Dänemark verdiente ich durch ein Buch im
Jahre 10 375 Kronen, aus England bekomme ich als Royalty für ein
Dutzend Bände jährlich 400 Kronen. Ihre Einnahmen werden sich
glücklicherweise anders gestalten.
Ich habe das Glück gehabt, meine Mutter etwas länger zu behalten
als es Ihnen gestatte wurde. Die Mutter ist ja vielleicht das einzi-
ge unbedingt sichere, das wir zum Vertrauen haben, um so unersetzlicher
Sie müssen jetzt 50 Jahre alt sein, ich bin in wenigen Monateb
70, deshalb einigermassen isoliert, obwohl mein Temperament dasselbe
geblieben.
Ich drücke Ihre Hand in alter Ergebenheit.
Georg Brandes.
(Havnegade)
19. Oktob
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Frl.Prozer
Mein verehrter Freund.
Ihr Schauspiel und Ihr Brief haben mich beide tief bewegt. Der
Brief, weil er so herzlich war und weil ich, seit lange von allerlei
Unglück und Missgeschick verfolgt, für Herzlichkeit sehr empfänglich
bin, das Schauspiel, weil es mir das Werk eines Meisters scheint, voll-
reifers - es ist lange her - in 1885, als ich
unsist wohl
Diese Menschen, die Sie dort darstellen, stehen vor Augen als
wirkliche individualitäten, voll und rund und originell.
Mit Eigen-
schaften und Eigenheiten, die ein Ensemble ausmachen. Die
benfi¬
guren wie Natter, oder die amüsant Karikierten, wie Rhon und Serknitz,
sind nicht weniger unvergesslich, als die tiefsinnig stu-
en und
rätselvollen wie Friedrich, Genia und die eine ganze Seele, Erna.
Ich würde nichts darüber schreiben können, das etwas hinzufügte an
die Wirkung, und nichts, das irgend etwas erklärte, denn al
les er-
einen Pfendig.h.
klärt sich von selbst. Land bekommen
ehe mit keiner
Sie lieben es, die Nebentriebe und Nebenpassionen zu verfolgen,
die Sprüngen und Seitensprünge des Geföhlslebens, alles Getheilte
das von dem Hauptstamm sich ablöst, auszubreiten. Die Welt, so gese-
hen, ist auf eine spezielle Weise traurig. Meiner Gefühlart nach wäre,
um das Bild zu supplieren, auch das Erhebende, das ab und zu, wenn
auch sehr selten uns begegnet, ich meine: das, was das Leben erträg-
lich machte, mit in Rechenschaft zu ziehen. Ich bin, glaub ich, im
Ganzen hessimistischer als Sie, aber dennoch empfinde ich eini
Ruhepunkte, und man muss das, soll man sich nicht töten. Man muss z.B.
jemand vertrauen können; in der hier vorgeführten sehr reichen und
schillernden Welt, ist aber jedes Vertrauen unmöglich; alle arbeiten
sich von ihren Neigungen und Bänden los.
Georg Brandes.
(19.10.11)
- 2 -
Haben Sie Dank, dass Sie sich um das mir unbekannte Frl. Prozor
bemühten, und dass Sie ihr so nützlich waren.
Sie irren sich wenn Sie glauben, ich möchte nicht gern nach
Wien kommen. Im Gegenteil. Wien hat immer für mich eine grosse An-
ziehungskraft gehabt; ich habe dort sehr angenehme Stunden verlebt,
besonders - es ist lange her - in 1885, als ich den alten Gompertz
kennen lernte. Später einmal, ich weiss nicht wann, es ist wohl
20 Jahre her, luden Sie sich zu mir ein, und es war bei Ihnen eine
Herrengesellschaft spät Abends, wo viele, die später berühmt ge-
worden, zusammen waren: Hoffmannsthal, Wasserman und andere. Sonst
habe ich in Wien nur bei Gompertz Menschen gesehen. Ich kenne ja Nie-
mand dort. Aber ich bin in der Regel wie in einem Schraubenstock,
ich kann nicht fort, wenn ich wolte, was zu weitläufig zu erklären
ist. Leichter zu erklären ist dass ich eigentlich nie Geld zu meinen
Reisen habe. Aus Deutschland bekomme ich nie einen Pfennig, habe dort
deit lange nicht einmal mehr einen Verleger und stehe mit keiner
Zeitung in Verbindung. In Dänemark verdiente ich durch ein Buch im
Jahre 10 375 Kronen, aus England bekomme ich als Royalty für ein
Dutzend Bände jährlich 400 Kronen. Ihre Einnahmen werden sich
glücklicherweise anders gestalten.
Ich habe das Glück gehabt, meine Mutter etwas länger zu behalten
als es Ihnen gestatte wurde. Die Mutter ist ja vielleicht das einzi-
ge unbedingt sichere, das wir zum Vertrauen haben, um so unersetzlicher
Sie müssen jetzt 50 Jahre alt sein, ich bin in wenigen Monateb
70, deshalb einigermassen isoliert, obwohl mein Temperament dasselbe
geblieben.
Ich drücke Ihre Hand in alter Ergebenheit.
Georg Brandes.