B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 28

(13.12.1915)
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1. ̃ 1.1.
Kopenhagen, 13. Dezember 1915
Verehrter Freund.
Es war mir eine angenehme Ueberraschung, so bald von Ihnen
zu hören. Ich erwartete das nicht. Ich bin leider bettlägerig. Sie
wissen als Arzt, wie langwierig dies verdammte Uebel ist, gegen welches
das Serum erst zehn Jahre nach meinem Tode gefunden wird. Warme Um¬
schläge imponieren den Bazillen nicht, und ich kann ihnen das nicht
verdenken.
Peter Nansen soll besser sein. Es ist nur eine Bronchitis, die ein
schwaches Fieber verursacht.
Sie haben ja völlig und unbestrittenes Recht, wenn Sie behaupten,
als Dramatiker nicht mit irgend einer ihrer Persönlichkeiten identisch
zu sein. Aber die Schlosszene scheint mir jedoch den Totaleindruck
zusammenfassen zu sollen. Ueber die Feierlichkeiten denke ich natür-
lich wie Sie. Da ich die 20 Jahre älter bin gewiss mit noch grös-
serem Widerwillen als Sie.
Was Sie über die Kritiker sagen, erstaunt mich nicht; ich
kenne nichts widerlicheres und dümmres. Lassalle sagt: "Zwei Arten
von Menschen sind mir vor allem verhasst: Journalisten und Juden -
und ich bin beides.“ - Ich hasse die Dritiker und verachte sie, be-
sonders die moralisierenden.
Einen Punkt muss ich beantworten, eine schwache Anspielung.
Sie sagen, ich wisse wohl jetzt mehr über den Krieg als im Anfang.
Einst schrieben Sie mir ebenfalls, ich solle doch nicht glauben,
in Wien herrsche Hungersnot.
Ich vergass damals zu antworten.
Irgend ein erhärmlicher Wicht von Journalist, der in einem
dänischen Blatt irgend einen der gewöhnlichen idiotischen Artikel
von einem sogenannt russischen Korrespondenten gelesen hatte, be-
kam den Einfall, im Anfang des Krieges, mich deshalb anzugreifen,
(13.12.1915)
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### 1a disser
Verehrter Freund! Es hat mich
litiges
reind¬
gedacht haben. Ich habe Ihn
mich dafür verantwortlich zu machen. Darin soll gestanden haben,
in Wien hungere man.
Ich hatte den Artikel nie gelesen, nie gesehen, viel weniger
geschrieben oder angehommen. Nun ging diese Idiotie wie ein Lauf-
feuer durch die deutsche und österreichische Presse, mit imbecilen
Schimpfworten gegen mich.
Sie scheinen daran geglaubt zu haben. So sind wir alle.
Sie viele tausend Mal wir erfahr en haben, dass das Gedruckte nur Lüge
war, immer wieder glauben wir an etwas.
Mein junger Schwiegersohn ist noch nicht verwundet, aber leidet
grässlich an Leere, fühlt es, alsverliere er den Verstand, werde alt
und grauu Es ist immer besser als Wunden und Tod.
Ich bin von ganzem Herzen Ihr Freund
Georg Brandes.
Ihr ganz
org Br.
standes.