B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 34

G.C.R.S.
1er, p.
18/1
Brandes
Kopenhagen 10. Dezember 1924.
Mein liebster Schnitzler.
Viel Arbeit und lang dauernde wenn auch nicht schwere Krank-
heit, die noch nicht vorüber ist, haben mich verhindert, Ihnen in
Dank mein Herz auszuschütten. Irgend jemand, der von Ihnen kam, oder
auf Sie sich berief, war neulich bei mir. Wie er hiess, habe ich ver-
gessen.
on heeft
Ich habe Ihnen für zwei Bücher zu danken. Besonders fü das
erste die Komödie der Verführung gibt viel zu denken, über den Reich-
tum und die Tiefe Ihrer Erfahrungen, vielleicht noch mehr über die
Fülle und Geschmeidigkeit Ihrer Erfindungskraft, die ich am meisten
bewundere, weil sie mir völlig fehlt. Man bewundert wohl immer am
meisten Fähigkeiten, die uns verweigert sind.
Ich habe mit Ueberraschung gesehen, dass Ihre paar kurzen
Aufenthalte in unserem kleinen langweiligen Land Ihre Plantasie in
Bewegung gesetzt hat, und dass sogar die Nordküste von Seeland unter
Ihren Händen einen Zauberschimmer erhalten hat.
Sie sind ein grosser Menschenkenner, besonders ein Frauen-
kenner wie wenige. Meine Erfahrungen stimmen nicht immer mit den
Ihrigen überein. Aber der Menschenschlag war verschieden, ich habe
meist Skandinvinnen und Russinnen gekannt, nie Oesterreicherinnen.
Die wenigen dieser Nation, die ich getroffen habe, waren sehr prosaisch;
alle Ihre Frauen habeneine poetische Aurcole.
Das andere Buch, dessen erzählende Form an Ihr Meisterwerk
über den Leutnant Gustl erinnert, ist ganz einfach aufgebaut, durch
traurige Wahrheit ergreifend, Sie haben den tragischen Ausgang gewollt,
haben dem armen Mädchen die Auswege versperrt. Am feinsten scheint
mir in der Erzähling die Lebenslust, die das junge Mädchen an den Vetter
Brande
###, (10.12.24.)
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Hochverehrte
und an den Fred zieht. Warum sind Sie so hart gewesen, sie sterben
zu lassen!-... Ihnen xxx.
Sie werden bemerkt haben, dass die Jahre zwischen 80 und 90
nicht die Blütezeit der Weiber ist. Sie ist ja leider auch nicht die
der Männer, wenn man sich auch gern Illusionen macht.
Ich habe ein paar Bücher über das 18. Jahrhundert in Frank-
reich herausgegeben über Talleyrand, übergau etc., aber ich habe
bisher die Uebersetzug verhindert, da die Form noch nicht endgültig
ist. In der letzten Zeit habe ich ein Buch auf dem Stapel, das beweisen
will, dass das Leben Jesu (ngefähr wie dass Leben Wilhelm Tells) nur
Sage ist. Ich habe ein paar Kapitel schon veröffentlicht und werde bald
damit zu Ende sein, erwarte nur Rückkehr der Gesundheit. Es wird leider
viel Geheul verursachen.
tenburg.
dire Adress
Dieser Brief ist ein sehr schwacher Ausdruck meiner freund-
schaftlichen Gefühle. Mit den Jahren blieben wenige zurück, mit denen
man sich geistig verwandt fühlt, und von denen man etwas lernt. Sie
sind einer von diesen ganz wenigen für mich.
Sie auf das Herzliche
Jemand sagte mir, ein Buch, das ich 1918 über Cäsar schrieb,
sei deutsch erschienen. Ich habe weder ein Exemplar noch ein Honorar
G.Rung, Sekretär.
gesehen.-
Georg Brandes