B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 44

Kopenhagen, 7. Jänner 1899.
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Lieber Dr. Schnitzler, sehr guter Freund.
Haben Sie Dank für Ihre Zeilen. Was habe ich nicht alles erlebt seit
ich Sie sah. Jetzt liege ich wieder zu Bett; die Venenentzündung ist
zurückgekehrt.
Ich blieb ein halbes Jahr in Italien, kam zurück, gab hier zwei
Bücher aus, einen Band meiner Gedichte (staunen Sie?) und ein Buch über
einen verstorbenen Freund, das hier einen sehr grossen Erfolg gehabt
hat, in 8 Tagen ausverkauft. Reiste wieder aus, wurde zwei Mal zurück-
gerufen durch Depeschen, weil meine Mutter krank war. Das letzte Mal
war ich in Polen, wo ich wegen meines Buches über Polen (das deutsche
ist polnisch übersetzt worden) eingeladen und komisch vergöttert wurde.
Zurück in einem Zug aus Lemberg. Seh meine Mutter 14 Tage dann
selbst krank, konnte meine Mutter nicht sehen in der letzten Woche
ihres Lebens und nicht an ihrer Beerdigung da sein. Ich habe nie einen
einzigen Tag in Kopenhagen versäumt meine Mutter zu besuchen.
Und jetzt liege ich in Streit mit den Deutschen wegen der Aus-
treibung der Dänen aus Schlesweg. Gibt es etwas widerlicheres als
Preussen? Nicht Frankreich einmal.
Mit ruhiger genossender Freude las ich das Vermächtnis. Es ist
ein völlig originales Ding, sehr diskret und vornehm, tief pessimistisch
und human. (Kennen Sie zufällig eine kleine Erzählung von Huysmans
Un dilèma, die behandelt ein ähnliches Thema, nur viel gröber oder
richtiger ganz anders, aber es ist da ein bischen Verwandtschaft).
Es ist nur schade, dass das Stück so ganz und gar traurig ist,
dann wird es nicht so viel Bühnenerfolge haben können, wie ich es
wünschte. Der Vater ist wunderbar gezeichnet. Und überhaupt, ich habe
Ihr Talent so lieb. Etwas freut mich schon, weil es von Ihnen ist.
Warum lässt doch unser Freund Beer Hofmann nie von sich hören?
(7.1.99)
Kopenhagen, 22.1.1899
Lieber Herr Doctor!
Ist er ein bischen faul? Er ist doch ein so feiner Mensch.
Denken Sie, was es heisst für einen Mann von meinem Temperament
still zu liegen, Geduld haben zu sollen und wieder, nachdem ich Ein
Mal ein halbes Jahr so verlor.
xxxerstaunlich wahr und packend; xxx
Behalten Sie mich lieb.
Ihr ergebener
Georg Brandes.
liegen, und wenn sie keinem am
xxx wahres Meisterwerk ist es dennoch.
Meine Gedichte! Was soll ich darüber
werden Sie einräumen, dass zwei oder drei sehr gut sind "Reconva-
lesent-Besuch und "Haraldhaarberger in Finmerken". Es ist eine Art
Jugend-Tagebach.- Ich liege noch immer zu Bett, schon 5 Wochen, Sie
wissen ja, was Venenentzündung ist. Doch ist es diesmal anscheinend nicht
schlimm.
Beste Grüsse
O.B.
Sie haben wohl meinen Protest gegen die Ausweisung der Dänen
oder auch nicht. 100 Zeitungen aller Länder haben ihn abgedruckt, aber
die Neue Freie ist ja preussisch,