B17: Brandes, Georg 17 (1) Brandes an Schnitzler, Seite 60

J. Hotel d'J
-2'1-1
19.10.11)
Haben Sie Dank, dass Sie sich um das mir unbekannte Frl. Prozor
bemühten, und dass Sie ihr so nützlich waren.
Sie irren sich wenn Sie glauben, ich möchte nicht gern nach xxx
Wien kommen. Im Gegenteil. Wien hat immer für mich eine grosse An-
ziehungskraft gehabt; ich habe dort sehr angenehme Stunden verlebt,
besonders - es ist lange her - in 1885, als ich den alten Gomperts
kennen lernte. Später einmal, ich weiss nicht wann, es ist wohl
20 Jahre her, luden Sie sich zu mir ein, und es war bei Ihnen eine
Herrengesellschaft spät Abends, wo viele, die später berühmt ge-
worden, zusammen waren: Hoffmannsthal, Wasserman und andere. Sonst
habe ich in Wien nur bei Gompertz Menschen gesehen. Ich kenne ja Nie-
mand dort. Aber ich bin in der Regel wie in einem Schraubenstock,
ich kann nicht fort, wenn ich wolte, was zu weitläufig zu erklären
ist. Leichter zu erklären ist dass ich eigentlich nie Geld zu meinen
Reisen habe. Aus Deutschland bekomme ich nie einen Pfennig, habe dort
seit lange nicht einmal mehr einen Verleger und stehe mit keiner
Zeitung in Verbindung. In Dänemark verdiente ich durch ein Buch im
Jahre 10 375 Kronen, aus England bekomme ich als Royalty für ein
Dutzend Bände jährlich 400 Kronen. Ihre Einnahmen werden sich
glücklicherweise anders gestalten.
Ich habe das Glück gehabt, meine Mutter etwas länger zu behalten
als es Ihnen gestatte wurde. Die Mutter ist ja vielleicht das einzi-
ge unbedingt sichere, das wir zum Vertrauen haben, um so unersetzlicher
Sie müssen jetzt 50 Jahre alt sein, ich bin in wenigen Monateb
70, deshalb einigermassen isoliert, obwohl mein Temperament dasselbe
geblieben.
Ich drücke Ihre Hand in alter Ergebenheit.
Georg Brandes.
Paris, Hotel d’Jéna.
3.£ Februar 1912.
11:1:1
Skagen, Dänemark
Adresse
Kopenhø
Verehrter Freund, verehrte Freundin.
Ihre lieben und schönen Porträts haben mich hier eingeholt, wohin
ich geflohen bin, um verscht das Festlichkeiten in Kopenhagen zu
vermeiden. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass auch Sie, die ich so sehr
schätze, an mich (bei dieser schmählichen tragikomischen Gelegenheit)
gedacht haben.
Ihnen gegenüber ist mein Herz voll. On a eu l'idée renommé- da
ich sowohl dem Rathausfest wie einem von der Universität und den
Schriftstellern veranstalteten ausschlug - einen Saal der kgl.Biblio-
thek zum einem G.B.-Archiv zu verwandeln und mit meiner Büste zu
versehen.
Berg Brande
Da sollen idiotische Literarhistoriker der Zukunft in meinen alten
Liebesbriefen schnüffeln. Das soll mir Freude machen.
Glücklicherweise für Arthur S. halten wir noch immer dieselbe Distanz
von 20 Jahren.
Ihr ergebenster
Georg Brandes.