B17: Brandes, Georg 17 (2) Schnitzler an Brandes, Seite 20

Mein lieber und verehrter Herr Brandes,
schon vor einigen Tagen las ich in einer Zeitg., dass Sie sich
wieder......befinden und in ein Sanatorium gegangen wären; aber nach
dem ganzen Ton u. auch nach der Schrift Ihres Briefes scheint mir,
dass die Krankheit diesmal leichter auftritt als die ersten Male, und
hoffentlich stehn Sie bald wieder auf und sind endlich ganz gesund. Es
ist gewiss ein gutes Zeichen, wenn Recidive in abgeschwächter Form auf-
treten;- ich wünsche von Herzen, dass es das letzte ist.- Sehr bedauert
hab ich dass ich in Abazzia Ihren Absagebrief fand, nicht Sie selbst.
Ich habe auf der dalmatinischen Reise meist schlechtes Wetter gehabt;
nur in Ragusa zwei sonnige Tage; überdies gerieth ich anfangs in
einen Balneologenongress, dessen Mitglieder Schiffe und Hotels füll-
ten, von denen ich auch mange persönlich kannte, es war ziemlich un-
angenehm. Unter solchen Halbbekannten sein ist die schlimmste Form-
der Einsamkeit, nicht der Geselligkeit. Von Abazzia aus, wo es ununter-
brochen regnete, flüchtete ich bald nach Hause. Das schönste was ich
mitbrachte, ist die Erinnerung an die Trümmer von Salona, ich kann gar
nicht verstehen, warum man da nicht immer und immer weiter gräbt; die
Erde wegkratzen und die Vergangenheit finden - wiekommt es, dass darüber
noch keiner wahnsinnig geworden ist7- Auch die albernen Angriffe Angrif-
fe gegen Sie wegen Ihrer Budapester Einleitung(?) habe ich gelesen.
Es ist ja wirklich gar nicht ernsthaft darüber zu reden. Und doch
scheint es, kann man die Empfindlichkeit gegenüber dem dümmsten, wenn es
nur einmal gedruckt ist, nicht ganz verlieren. Ich erinnere mich, wie
ich seinerzeit mit einigem Staunen im Briefwechsel von Goethe und Schil-
ler Denkmäler ihres Aergers über die nichtigsten scribenten antraf. Seit-
her staune ich aber nicht mehr, wenn ich sehe, wie sich zuweilen die
klügsten über die thörichtsten ärgern. Die Philosophie hilft wohl gegen
- 2 -
die Todesangst, aber nicht gegen Flohstiche.
Dass Sie auch mir für Wien danken, ist zu liebenswürdig; ich
fühle, dass ich Ihnen, besonders diemals, nicht viel sein konnte. Im
Anfang waren diese langweiligen Zahngeschich en; und dann liegen die
Schatten von jenem traurigen Ereignis oft, und nun gar in diesen Früh-
lingstagen, schwer auf meiner Seele. Dazu kommen noch mancherlei zum
Theil nervöse Dinge (aber nur zum Theil), über die ich nicht gern rede,
hauptsächlich ein quälendes Ohrensausen, an dem ich nun seit drei ein-
halb Jahren ununterbrochen leide, mit beginnender Verschlechterung des
Gehörs - das macht mich natürlich auch nicht viel froher. Immerhin
arbeite ich seit einiger Zeit mehr als je und mit einer Empfindung -
wenigstens zuweilen - von innerer Fülle wie niemals früher. Ich bin
jetzt daran, eine Hovelle zu dictieren, die vor ein paar Wochenbeendet
wurde, schreibe jetzt einige kleinere und möchte im Sommer eine Komödie
schreiben. Der Schleier der Beatrice wird wahrscheinlich im Herbst
an der Burg aufgeführt; wo ich aber mit den neuen Sachen hin soll die
ich im Kopf habe weiss ich nicht recht. Es wird nemlich kaum möglich
sein in der nächsten Zeit etwas wienerisches zu schreiben, in das nicht
die antisemitische Frage hineinspielt - und meine Art darüber zu den-
ken wird weder den Christen noch den Juden recht sein.- Das neue Buch
von Bourget kenne ich nicht, habe schon lange nichts von ihm gelesen;
auch der?.von Lanckoronsky ist mir noch unbekannt. Ich lese jetzt
- denken Sie! zum ersten Mal - wenn ich von einer Jugendbeerbeitung
absehe - den Don Quixote; dann ein vorzügliches Buch über Dante von
Fredern, denselben der den Emerson trefflich übersetzt hat. Gibbon be-
gleitet mich bereits längere Zeit.