A139: Casanovas Heimfahrt, Seite 87

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ten, um aus Voltaires eigenem Mund zu erfahren, wie er die streit-
schrift seines gefährlichsten Widersachers, des Chevaliers von
Seingalt, aufgenommen Mit". Casanova, die Hand auf der Seitenleh-
ne des Wagens, neben Maroolinens Arm, dessen sich bauschende Hülle
seine Finger streifte, erwiderte kühl: „Es wird sich weniger da-
rum handeln,wie Herr Voltaire, als vielmehr wie die Nachwelt
meine Schrift aufnimmt; denn diese erst wird ein Recht darauf
haben, die endgiltige Entscheidung zu treffen".- „sie glauben",
meinte Marcolina ernsthaft, dass in den Fragen, die hier zur Sprä-
che stehen, überhaupt endgiltige Entscheidungen gefällt werden
können?"- „Diese Frage wundert mich aus Ihrem Munde, Marcolina,
deren philosophische, und wenn das Wort hier angebracht erscheint,
religiöse Ansichten mir zwar keineswegs an sich unbestreitbar,
aber doch in Ihrer geele.— falls gie eine solche als vorhanden
annehmen,vollkommen festgegründet schienen". - Marcolina, der
Spitzen in Casanovas Rede nicht achtend, sah ruhig zum Himmel
auf, der sich in dunkler Bläue über die Wipfel der Bäume breitete
und erwiderte: Manchmal,besonders an Tagen wie heute",- und in
diesem Wort klang nur für Casanova, den Vissenden, aus den Tiefen
ihres erwachten Frauenherzens eine bebende Andacht mit - ist
mir, als wäre all das, was man Philosophie und Religion nennt,
nur ein Spiel mit Worten, edler freilich, doch auch sinnloser als
alle andern sind. Die Unendlichkeit und die Ewigkeit zu erfassen