A139: Casanovas Heimfahrt, Seite 95

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Herrn Bragadino, seinem väterlichen Freund aus Jugendtagen, einem
alten Hagestolz, der, nun über achtzig, und vor zehn Jahren Mit-
glied des hohen Rats geworden, Casanovas Sache in Venedig mit-
mehr Eifer als die andern Gönner zu führen schien. Der Brief,
ausnehmend zierlich, nur von etwas zittriger Hand geschrieben,
lautete wörtlich:
Mein lieber Casanova. Heute endlich befinde ich mich
in der angenehmen Lage Ihnen eine Nachricht zu senden, die, wie
ich hoffe, in der Hauptsache Ihren wünschen gerecht werden dürf-
te. Der hohe Rat hat sich in seiner letzten Sitzung, die gestern
Abend stattfand, nicht nur bereit erklärt Ihnen die Rückkehr nach
diese jhre
Venedig zu gestatten, sondern wünscht sogar, dass Sie Ihre Rückkehr
tunlichst beschleunigen, da beabsichtigt wird die tätige Dankbar-
keit, die Sie in zahlreichen Briefen in Aussicht gestellt haben,
baldigst in Anspruch zu nehmen, wie Ihnen vielleicht nicht be-
kannt ist, mein lieber Casanova, (da wir ja Ihre Gegenwart so lan-
ge entbehren mussten) haben sich die inneren Verhältnisse unserer
teuern Vaterstadt im Laufe der letzten Zeit sowohl in politischer
als auch in sittlicher Hinsicht einigermassen bedenklich gestal-
tet. Geheime Verbindungen bestehen, die gegen unsere Staatsver-
fassung gerichtet sind, ja einen gewaltsamen Umsturz zu planen
scheinen, und wiel es in der Natur der Dinge liegt, sind es vor al-
lem gewisse freigeistige, irreligibse und in jedem Sinne zucht-