A20: Flucht in die Finsternis (Der Verfolgte, Wahnsinn), Seite 73

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sah sie ihm, die Geige noch in der Hand, ernst und wie fragend ins
Auge, worauf er, wie zur Antwort, einen Kuss auf ihre Stirn und dann
auf ihre Lippen drückte. Sie schwiegen lange. Als er endlich et-
a Votre
was sagen wollte, wehrte sie leise ab. "Heute nichts mehr, ich
bitte dich darum.
eigenen Be¬
Er ging. Als er aus dem Haustor trat,wurde ein Fenster
über ihm geöffnet. Er blickte hinauf, Paula, einen weissen Schal
dicht um den Hals geschlungen,stand oben in der Dunkelheit und
winkte ihm ihren Nachtgruss zu.
Beim Nachhausekommen fand er einen Brief vor. Er kam
aus Amerika,die Adresse verriet Albertens Schriftzüge. Also, sie
lebte. Das Gefühl von Freude, ja von Befreiung, das ihn plötzlich
durchströmte,brachte ihm zum Bewusstsein.dass auf dem Grund seiner
Seele jener überwunden geglaubte Wahn immer noch gelauert hatte.
Albertens Brief war kurz, sachlich und zeigte wieder jene Unfähig-
keit auch anlässlich der sonderbarsten Schickungen in Erstaunen
zu geraten, die ihr in noch höherem Grade als so vielen anderen
Frauen eigen war. Sie lebte,wie aus ihrem Brief hervorging,in
Ohioogo und war verheiratet, aber nicht mit dem Amerikaner,in des-
sen Begleitung sie hinübergereist war, sondern mit einem deutschen
Kaufmann, den sie erst drüben kennen gelernt hatte. "Im nächsten
Sommer“, hiess es weiter, „wollen wir nach Europa reisen und wenn
wir nach Wien kommen und du noch an mich denkst, und du mich sehen
willet, werde ich dir viel zu erzählen haben." Dann fragte sie,
wie es ihm ergangen sei und ob er nicht, was sie ihm vom Herzen
wünsche, eine liebe kleine Frau gefunden habe, die ihn nicht so
nervös mache, wie es ihr, freilich ganz ohne ihre Schuld, leider
öfters begegnet sei.