Nr. 24103
Wien, Freitag
Neue Freie Presse
26. Dezember 1931
35
Mut und keinen Glauben, der leugnete seine Mitschuld mit
Lukardis. Und man muß auch fähig sein, den Geist
Nadinsky. Man sollte denken, daß der Preis, den
wollte nicht hören und nicht sehen, weil doch alles so bequem auf etwas zu richten, was noch nicht Wirklichkeit ist, und
ich zahle, uns auch gegen Zudringlichkeit zu schützen hat.
war... und das ging so und going so, bis..ja, bis es eben
Olga Petrowna (unverwundbar, süßlich). Die
nicht mehr weiter ging und einem das bequeme Leben, das
Nadinsky Auch das. Es klopft heftig. Lukardis / Neutralität meiner Person gibt mir ein kleines Ausnahme¬
Lügenleben, wie Arsenik in den Eingeweiden fraß und man | wartet noch einen Moment, bis die Tür vonogor aufgerissen
recht. Immerhin habe ich eine Erziehung genossen, die sich
immer Natascha vor sich sah, mit den aufgeschnittenen Adern, wird, dann springt sie auf und länft gegen den Alkoven
nicht verleugnet, wie ich hoffe.
von einer Bestie zertreten... und Natascha einen rief, als
Nadinsky (nicht befriedigt). Das war gnt.
Nadinsky (kann sich nur mit Mühe beherrschen)
wär's die Stimme von allem Volk... (kann nicht weiter)
Haben Sie ein Anliegen, Madame?
Lukardis (zaghaft, ganz hingenommen). Können
Olga Petrowna. Nur ein menschenfreundliches
Sie sich nicht vorstellen, Jewgen Pawlowitsch, daß ich ein
Igor, der Aufwärter (in der linken hocherhobenen
Wenn Sie den Arzt benötigen sollten, wegen einer Verletzung
wenig, ein ganz klein wenig Natascha für Sie sein kann?
Hand eine umfangreiche Platte, auf der sich in gedeckten
etwa, lassen Sie es mich durch Igor wissen.
Ich weiß wohl, nicht jedes Mädchen kann Schwester sein..
Silberschüsseln die bestellten Speisen, Teller, Besteck usw
Nadinsky (sprachlos).
Nadinsky (hat sich gefaßt). Kein Mensch kann für
befinden. Hinter ihm Timka, die den Eiskübel mit dem
Lukardis (macht einen Schritt nach vorn, dann wie
einen anderen stehen. Niemals würde Natascha billigen, was
Champagner trägt. Die Art, wie Jgor die Platte balanciert
gelähmt)
Sie tun. Sie haben sich gebunden, ohne zu wissen, an wen
auf ein Seitentischchen ablegt, den Mitteltisch deckt, hat etwas
Vieljährige Erfahrung mit
Olga Petrowna.
ohne recht zu ermessen, wofür, das bindet mich doppelt
von der prahlerischen Oirtuosität, mit der sich ein Clown
Gästen befähigt mich, meine Beobachtungen auf alles aus-
Enthusiasmus ist etwas Herrliches, wenn er einer Person gilt.
produziert. Er ist untersetzt, kurzhalsig und wirkt in seiner zudehnen, was den Interessenkreis meines Hauses berührt
für die es der Mühe wert ist, sich zu opfern. An mir ist ver¬
Phantasielivree mit den silbernen Knöpfen und den obligaten
Mein Blick ist untrüglich. Der Verband unter Ihrem Schlaf
dammt wenig gelegen. Sie bürden mir eine Schuld auf, die
Filzpantoffeln durchaus gespenstisch). Bitte um Vergebung
anzug konnte mir nicht entgehen.
ich nicht bezahlen kann, Lukardis. Ich habe die Mittel nicht
(Feixt.) Zu stören war nicht die Absicht. (Aufdeckend.
Nadinsky (heiser). Doch nur mit Hilfe von
dazu. Der Preis ist zu hoch.
Potage à la reine. Beluga=Kaviar. Die Toasts. Cotelettes
Spionage...
fines herbes. Salade concombre. Purée de pommes. Kä
Olga Petrowna (geht darüber hinweg). Ich ver¬
und Dessert. Champagner göut américain. Sehr zu emp
mute, der Herr ist blessiert. Ein Duell, nehme ich an. Ich
Auch ich haben
fehlen. Unsere Hausmarke. Findet den Beifall aller Herr
darf es auch aus der Miene und dem Aussehen der jungen
schaften, die bei uns verkehren, Fürsten, Barone, Exzellenzen
Frau schließen.
(Läßt den Pfropfen knallen.) Springt bis an die Decke
Nadinsky (dem ein Stein vom Herzen fällt). Sie
sind nicht weit von der Wahrheit entfernt.
Olga Petrowna (maliziös). Ich hoffe auch die
kleine Streche zurückzulegen, die mich noch von ihr trennt
Besser, man hilft mir freiwillig, als man läßt sich von
Resultat überraschen. Ich gehe selten fehl. Wer sich mir an
vertraut, ist meines Beistandes gewiß. Eine Hand wäscht die
andere. Ich will damit sagen... ich meine, in einem Fall
wo ich auf das Eingreifen der Militärbehörde (mit drohendem
Nachdruck auf dem Wort) gefaßt sein muß, vielleicht sogar
der... der politischen, wäre über eine besondere Vergütung
zu verhandeln. Sie dürfte nicht allzu niedrig bemessen sein,
das verhehle ich nicht. Je prends mon bien, où je le trouve.
Lukardis (bittend): Und wenn ich doch etwas von
Natascha in mik hätte... Warum verurteilen Sie mich
Ein Mensch hat viele Möglichkeiten..
geschlafen. Auch ich bin aufgewacht. Auf ich will mit in die
Zukunft hinaus
Nadinsky (erschreckt über ihre zu laut gewordene) niemand darob erschrecke. Bitte die portische Ader nicht
Stimme). S=s=t! Denken Sie an die Wände und Türen
ungünstig aufzunehmen. (Schenkt ein.)
Vor allem müssen wir uns auch unter vier Augen so anreden
Dimka (kauert beim Ofen, den sie frisch auffüllt)
als ob wir wären, was wir vorstellen.
Lumpenvieh. Schwatzt und schwatzt. Gottloses Vieh. Keinen
Lukardis. Es ist wahr. Aber dann werden Sie
Sonntag in die Kirche, seit Jahr und Tag. Mästet sich mit
Nadinsky (korrigiert). Dann wirst du
dem Unzuchtsgeld. Speichellecker. Leuteschinder. Wie die
Lukardis. Dann wirst du sagen, ich hätte mich
Herrin, so der Knecht.
noch ärger kompromittiert... (Verbessert sich rasch.) Ja, ich
Igor (schlägt nach hinten mit dem Fuß gegen sie aus,
weiß, es ist ein dummes Wort
zischt). Still, Hexe. (Zugleich Kratzfuß.) Madame est servie.
Nadinsky. Nein, es ist kein Wort dafür. Du kannst
(Vertraulich zu Nadinsky.) Bitte die Gegenwart dieser
nicht mehr mit einem Gläubiger verhandeln, wenn du dein
Wahnsinnigen nicht zu verübeln. Voilà la canaille
ganzes Vermögen verloren hast. Komm näher zu mir, sei
Dimka (starrt ins Feuer). Quatscht französisch, cha
dich zu mir, ich will's dir erklären. (Richtet sich zum Sitzer
Als ob's das wirklich gäbe, französisch. Damit tun sie ja nu
auf, ergreift ihre Hand, zieht sie neben sich.) Merk auf
Lukardis (bestürzt). Sie sehen doch... mein..
so, die Herren und Damen. Sind doch alle nackigt unterm
Wenn jetzt dieses Tier, der Jgor, erscheint, läufst du von mir
mein Freund ist momentan nicht in der Verfassung...
Hemde. (Ab, als Igor die Faust gegen sie ballt.)
weg, als geniertest du dich. Das wirkt glaubwürdiger, al-
Olga Petrowna. Gewiß. Die Dame kann
Nadinsky. Wir haben weiter nichts nötig. Wie
unbesorgt sein. Halsabschneiderische Allüren liebe ich nicht
wenn wir eigens ein lebendes Bild für ihn arrangieren
wollen nicht mehr gestört sein.
Die Dame ist mir sehr sympathisch. Es hat unter allen Um
Lukardis (gepeinigt). Was für Winkelzüge,
Igor. Dero Gnaden gehorsamster Diener. (Retiriert.
Ueberlegungen
ständen Zeit. Wenn man die Geiseln im Hause hat, sind
Draußen Stimmen Igor!ogor! Er ruft über die Schulter.)
andere Bürgschaften überflüssig. Ich empfehle mich den
Nadinsky. So ist es eben. Nun hör zu, was ich die
Zur Stelle! (Aefft.) Igor! Igor! Ja doch. Von früh bis
sagen will. Es wäre weniger unheimlich, wenigen folgen
Herrschaften. Darf ich mich den Herrschaften bekann
spät: Jgor. Igor. Nicht zu fressen ist einem erlaubt, bitt¬
machen? Olga Petrowna Uglassew. Ug—las—sem. Ein nicht-
schwer für dich, wenn wir in einer Kerkerzelle zusammen¬
untertänigst um Nachsicht. Können es nicht erwarten: Igor
unberühmter Name, schmeichle ich mir. Geruhsame Nacht zu
geworfen worden wären. Nicht in dem Grad wär's das
Igor! Aber Agor zahlt's ihnen heim. Igor durchschaut alles
wünschen. (Wie sie die Tür öffnet, vernimmt man laute-
Unterste des Lebens, sein Bodenschlamm, nicht so müßten Igor weiß alles. Vor Jgor bleibt nichts verborgen, entdeckt
Gekicher, zwei halbnackte Frauenzimmer huschen vorbei
wir mit jedem Laut und Blick erst über seine infamste Häß
er’s nicht heut, entdeckt er's morgen. Bitte nochmals die
lichkeit hinwegkommen, während wir uns glauben machen
kehren um, als sie Olga Petrowna gewahren, hängen
poetische Ader nicht ungnädig aufzunehmen. (Stößt bei der
sich ihr links und rechts an den Hals, offensichtlich schwer
daß wir einer heiligen Sache dienen. Verstehst du, was ich
Tür mit Olga Petrowna zusammen.) Pardon...
betrunken, und unter dem Bemühen, sie abzuschütteln, schließ
meine? Du schaust mich so seltsam an... verstehst du
Olga Petrowna (zornig). Kannst du nicht auf-
mich? Verstehst du, daß du den Anspruch dasoben, in deine
sie die Tür.)
passen, du Schwein?
Welt, verwirkt hast! Daß du dich endgültig zu denen
Pause. Nadinsky und Lukardis sehen einander schweigend an.
schlagen hast, von deren Qual und Not wir alle bishe
unseren Frieden, alles, was wir Glück und Schönhei
Lukardis (von Grauen und Ekel überwältigt, weicht
Nadinsky. Mausefalle. Was tun
nennen, bezahlt haben? Verstehst du das? Gut. Und ver¬
gegen den Hintergrund zurück). Was für ein Mensch!
Lukardis (verstört). Die entsetzliche Person weise
stehst du, daß wir, du und ich, uns durch den Aufenthalt in
Olga Petrowua (phrasenhast). Ich bitte für mein
mehr, als sie sagt. Man müßte Anastasia Karlowna benach
diesem Haus besudeln, aus welchen Motiven immer wir es
Eindringen um Verzeihung. Derlei Belästigungen liegen
richtigen.
tun? Die Umstände haben es erzwungen, schön.. Aber was
meiner Gewohnheit sonst fern. Aber eine gewisse Ihnen be=
Nadinsky. Ausgeschlossen. Wir sind Gefangene
dann? Was später? Wir müssen einander... wir drück
kannte Dame hat mir die Sorge für Ihr Wohlergehen so
Riegeln Sie die Tür zu. Drehen Sie die Lichter vor den
ich's aus... wir müssen einander zu Bildnissen werden, damit
dringend ans Herz gelegt, daß ich nicht umhin kann, mich
Spiegel ab. Danke, Danke. Vanke, Natascha. Denke
uns die Wirklichkeit nicht erdrosselt. Wir dürfen keinen Lei¬
zu erkundigen, ob Sie nach Wunsch bedient werden und sich
Lukardis. Willst du mir aufsteh'n helfen... mir ist heiß und
mehr haben. Wir müssen miteinander umgehen wie die
bei mir zu Hause fühlen
kalt. Ich sollte mich ins Bett legen. Aber es graut mir von
Geister im Geisterreich. Das allein kann uns vielleicht retten
Nadinsky (eisig). Danke. Wir sind zufrieden. Wenn dem Bett. Jetzt, wo du nicht mehr fortgeh'n kannst, brauch
Lukardis. Ich verstehe. Nicht ganz, aber ungefähr
wir es nicht sind, werden wir uns beschweren
ich dich auf einmal. Durst... Durst... (Nimmt das Glas¬
Sie wollen... du willst die Wirklichkeit unwirklich machen
Olga Petrowna (unempfindlich). Freut miö
mit Champagner, trinkt es aus, reicht Lukardis das zweite
Dazu muß man ungeheuer stark sein.
zu hören. Auch das Fräulein... will sagen die jungen
die es mit einer Geste des Widerwillens zurückweist, woran
Nadinsky: Ja. Dazu muß man stark sein.
gnädige Frau?
er auch dieses noch leertrinkt.
„Geh'n ma! Geh'n mais!“ flehte, drohte. bettelte
alles, aber auch alles zu danken. Seinem Geld, seinem Ver¬
wartet, die Zeit drängt, der Pariser Zug darf in Köln um
Waitzer, war einem Schlaganfall nahe und hatte ein blau
trauen und seiner großen Geschicklichkeit, die so manchen
keinen Preis versäumt werden. Doch Louise steht gelassen da
rotes Gesicht, als würde er jeden Moment ersticken
Diplomaten oder Verschwörer beschämt hätte.
und beschäftigt sich damit, an ihren Handschuhen, die bis
Für die Prinzessin blieb er Luft. Sie würdigte den
Die drei im Wagen schwiegen lange
zum Ellbogen reichen, die vielen, viele Knöpfe, einen nach
kleinen, dicken Mann, der sich ihr überall dicht vor die Augen
Endlich brach Herr Waitzer los. Die Glückseligkeit über
dem anderen, zu schließen.
stellte, keines Blickes und keines Wortes. Sie hörte nicht,
das Gelingen, der Jubel über das Vollbrachte wollte ihn
„Aber, königliche Hoheit“, mahnt die Gattin des Ab-
was er ihr mit gedrosselter Stimme zukeuchte
schier die Brust zersprengen. Er wäre geplatzt, hätte er seinem
geordneten, „das können Sie ja unterwegs besorgen!
Enthusiasmus jetzt nicht Ausdruck gegeben. Er neigte sich
„Herr Graf“, sprach sie, „ich habe meine Kassette ver
Keine Antwort.
gessen. Briefe und Andenken von Ihnen. Sie werden so gut
vor, zur Prinzessin, die ihm gegenüber saß, stürmisch ergri=
„Es eilt sehr, königliche Hoheit.
sein, die Kassette zu bringen
er ihre beiden Hände, und in seiner röchelnden Stimme war
Die Prinzessin dreht der Dame, die ihr Gastlichkeit ge
Unverzüglich wollte Mattachich das Zimmer verlassen
nun wieder das Schnalzen der Natursänger, als er ausrief
boten hatte, den Rücken, setzt ihre Beschäftigung gelassen bis
Waitzer, ganz starr vor Staunen über den tollen Befehl
„Na, i gratalier', Hoheit — i gratelier' Ihna! Dös war
ans Fertigwerden fort und geht dann, mit leichtem Kopf
über den bis zur Tollheit unbedingten Gehorsam, zugleich
haba a schware Geburt!“
nicken aus dem Haus. Ohne sich daran zu kehren, daß dieses
auch von beiden, von Befehl wie Gehorsam, auf das äußerste
Vielleicht hoffte der dicke, einfältige Mann, ein Wort
Haus tagelang ihr rettendes Asyl gewesen.
verwirrt, suchte, Mattachich zurückzuhalten
des Dankes zu hören. Vielleicht sehnte er sich nach solch
Indessen sitze ich zu Paris und warte
Der aber ließ sich nicht hindern. Auch für ihn war dein
Kein Mensch in aller Welt weiß, wo die beiden hin
einem warmen Wort, das man ihm doch schuldig war. Er
dicke Waitzer jetzt Luft. Zum drittenmal machte er sich au
mag erst in dem Augenblick, in welchem er unter dem Zwan
geraten, wo sie versteckt sind. Die Zeitungen melden einmal
den Weg. Zum drittenmal stieg er die Treppe hinauf, schlich
Mattachich und seine Prinzessin hielten sich in Genf auf. Da¬
seiner eigenen Gefühle zu reden anfing, gedacht haben, daß
den Korridor entlang und zum drittenmal in das Zimmer
er damit die Prinzessin zu einer Aeußerung bewegen könne
nächste Mal in Zürich, in London
der Prinzessin.
Jedenfalls wäre er mit dem flüchtigsten Dank zufrieden
Aus Wien telegraphiert mir der Herr, der zu Anfang
Als er glücklich wieder zurückgekehrt war, hatte der
gewesen.
Mattachich an mich empfohlen hatte, abwechselnd: „Fahren
Kriminalbeamte derweil den Koffer auf das Dach des
Aber die Prinzessin entwand ihre Hände heftig der Um¬
Sie fort nach Cowes, Insel Wright. Dort treffen Sie
Wagens verstaut und blieb, von der Finsternis des Gartens
klammerung Waitzers und richtete an Mattachich das kühle
unseren Freund.
geschützt, unsichtbar.
Ersuchen: „Bitte, Herr Graf — sagen Sie die Herr Waitz
Ich bleibe in Paris und warte. Nicht ganz mit dem
Jetzt wurden in Waitzers Zimmer die Lampen gelöscht
heer, daß man eine königliche Prinzessin nicht bei die Händ¬
Gefühl der Sicherheit. Das räume ich ein. Wer kann denn
und man sollte eilig davon.
packt und schüttelt
auch ahnen, welche Hindernisse, weiche Zufälle dem Vorsatz,
Eilig? Nur Herr Waitzer, der die von ihm so bitten
Eisige Dusche für den armen Waitzer. Mäuschenstille
nach Paris zu fahren, unversehens entgegenstanden. Ferner
im Wagen, der weiter und weiter rollt. Immer noch auf
gehaßte Kassette übernommen hatte, lief, was er konnte.
wer kann fest darauf bauen, daß Mattachich zuverlässig sein
Mattachich aber bot der Prinzession auf ihr Begehren sächsischem Boden
und die Verabredung einhalten wird?
seinen Arm, und so schritten die beiden, langsam, wie bei
Die Nachtluft reizt den alten Katarrh. Waitzer hustet
Aber ich habe in Paris Rendezvous mit ihm und ich
einem Spaziergang, über die Kurpromenade durch den
und das klingt, wie wenn man den Blasebalg einer ver¬
bleibe in Paris
Garten hinaus auf die Straße, zum Wagen.
jährten Orgel zu treten beginnt. Er muß sogar spucken. Un
Es sind da Angelegenheiten zu erledigen, die ihm wich¬
Der Kriminalbeamte war längst wieder in seine Stub=
jetzt wird er zum erstenmal einer direkten Ansprache der
tiger sein müssen als mir.
geschlüpft, wo er bleiernen Schlaf maakierte
Prinzessin gewürdigt
Seine Rehabilitierung. Das offizielle Zugeständnis, daß
Der Pferde zogen an, der Wägen rollte durch die Nacht,
„Pfui, Herr Waitz-heer, Sie husten und spucken, geh'n
die Prinzessin geistig gesund ist.
Sie auf die Bock!
hinaus aus Bad Elster, erreichte die Landstraße. Die Fluch=
Also Geduld! Wenn auch schon etliche Tage über den
war beinahe gelungen. Beinahe, denn noch befand man sich
Der Wagen muß halten. Waitzer muß aussteigen, muß
anberaumten Termin verstrichen sind.
auf sächsischem Boden
den Kutschbock erklettern. Und man ist immer noch in
Richtig, eines Morgens tritt Mattachich zu mir in den
Im Wagen waren die drei zusammen. Das Liebespaar
Sachsen
Frühstücksaal des Grand Hotels. Schlendernd und ge¬
das sich nach so schrecklichen Erlebnissen, auch so schmach
Endlich wird Hof erreicht, der Expreßzug bestiegen, und
mächlich, wie irgendein Pariser Trottoirbummler, so ziel¬
voller Trennung, nach solch ungeheuren Hindernissen, mit
in Berlin finden die beiden ein Asyl bei einem Mitglied des
sicher und so ganz ohne Verwunderung, mich gerade hier zu
dem Einsatz des Lebens nun doch wieder vereinigt hatte. Un=
Reichstages
treffen, als sei es ihm in jahrelanger Gewohnheit bekannt,
der dicke Wiener Gastwirt, dessen wilden Hernalser Dialek
Louise behält ihr gebieterisches Wesen auch ihren Be¬
mich immer wieder hier zu finden
die Prinzessin nicht ganz verstand, ebenso wie ihm das dünne
schützern gegenüber. Noch am letzten Morgen, in jenem Hause
noble Französisch=Deutsch der Prinzessin fast unverständlich
da sie mit Mattachich die Autofahrt nach Köln antreten soll
Ein ganz kurzer Gruß. Tann gleich: „Die Prinzessin
blieb. Immerhin, diesem einfachen Herrn Paitzer hatte wan I bleibt sie dem bestgemeinten Rat unzugänglich. Das Auto | erwartet Sie — kommen E' gleich!
Wien, Freitag
Neue Freie Presse
26. Dezember 1931
35
Mut und keinen Glauben, der leugnete seine Mitschuld mit
Lukardis. Und man muß auch fähig sein, den Geist
Nadinsky. Man sollte denken, daß der Preis, den
wollte nicht hören und nicht sehen, weil doch alles so bequem auf etwas zu richten, was noch nicht Wirklichkeit ist, und
ich zahle, uns auch gegen Zudringlichkeit zu schützen hat.
war... und das ging so und going so, bis..ja, bis es eben
Olga Petrowna (unverwundbar, süßlich). Die
nicht mehr weiter ging und einem das bequeme Leben, das
Nadinsky Auch das. Es klopft heftig. Lukardis / Neutralität meiner Person gibt mir ein kleines Ausnahme¬
Lügenleben, wie Arsenik in den Eingeweiden fraß und man | wartet noch einen Moment, bis die Tür vonogor aufgerissen
recht. Immerhin habe ich eine Erziehung genossen, die sich
immer Natascha vor sich sah, mit den aufgeschnittenen Adern, wird, dann springt sie auf und länft gegen den Alkoven
nicht verleugnet, wie ich hoffe.
von einer Bestie zertreten... und Natascha einen rief, als
Nadinsky (nicht befriedigt). Das war gnt.
Nadinsky (kann sich nur mit Mühe beherrschen)
wär's die Stimme von allem Volk... (kann nicht weiter)
Haben Sie ein Anliegen, Madame?
Lukardis (zaghaft, ganz hingenommen). Können
Olga Petrowna. Nur ein menschenfreundliches
Sie sich nicht vorstellen, Jewgen Pawlowitsch, daß ich ein
Igor, der Aufwärter (in der linken hocherhobenen
Wenn Sie den Arzt benötigen sollten, wegen einer Verletzung
wenig, ein ganz klein wenig Natascha für Sie sein kann?
Hand eine umfangreiche Platte, auf der sich in gedeckten
etwa, lassen Sie es mich durch Igor wissen.
Ich weiß wohl, nicht jedes Mädchen kann Schwester sein..
Silberschüsseln die bestellten Speisen, Teller, Besteck usw
Nadinsky (sprachlos).
Nadinsky (hat sich gefaßt). Kein Mensch kann für
befinden. Hinter ihm Timka, die den Eiskübel mit dem
Lukardis (macht einen Schritt nach vorn, dann wie
einen anderen stehen. Niemals würde Natascha billigen, was
Champagner trägt. Die Art, wie Jgor die Platte balanciert
gelähmt)
Sie tun. Sie haben sich gebunden, ohne zu wissen, an wen
auf ein Seitentischchen ablegt, den Mitteltisch deckt, hat etwas
Vieljährige Erfahrung mit
Olga Petrowna.
ohne recht zu ermessen, wofür, das bindet mich doppelt
von der prahlerischen Oirtuosität, mit der sich ein Clown
Gästen befähigt mich, meine Beobachtungen auf alles aus-
Enthusiasmus ist etwas Herrliches, wenn er einer Person gilt.
produziert. Er ist untersetzt, kurzhalsig und wirkt in seiner zudehnen, was den Interessenkreis meines Hauses berührt
für die es der Mühe wert ist, sich zu opfern. An mir ist ver¬
Phantasielivree mit den silbernen Knöpfen und den obligaten
Mein Blick ist untrüglich. Der Verband unter Ihrem Schlaf
dammt wenig gelegen. Sie bürden mir eine Schuld auf, die
Filzpantoffeln durchaus gespenstisch). Bitte um Vergebung
anzug konnte mir nicht entgehen.
ich nicht bezahlen kann, Lukardis. Ich habe die Mittel nicht
(Feixt.) Zu stören war nicht die Absicht. (Aufdeckend.
Nadinsky (heiser). Doch nur mit Hilfe von
dazu. Der Preis ist zu hoch.
Potage à la reine. Beluga=Kaviar. Die Toasts. Cotelettes
Spionage...
fines herbes. Salade concombre. Purée de pommes. Kä
Olga Petrowna (geht darüber hinweg). Ich ver¬
und Dessert. Champagner göut américain. Sehr zu emp
mute, der Herr ist blessiert. Ein Duell, nehme ich an. Ich
Auch ich haben
fehlen. Unsere Hausmarke. Findet den Beifall aller Herr
darf es auch aus der Miene und dem Aussehen der jungen
schaften, die bei uns verkehren, Fürsten, Barone, Exzellenzen
Frau schließen.
(Läßt den Pfropfen knallen.) Springt bis an die Decke
Nadinsky (dem ein Stein vom Herzen fällt). Sie
sind nicht weit von der Wahrheit entfernt.
Olga Petrowna (maliziös). Ich hoffe auch die
kleine Streche zurückzulegen, die mich noch von ihr trennt
Besser, man hilft mir freiwillig, als man läßt sich von
Resultat überraschen. Ich gehe selten fehl. Wer sich mir an
vertraut, ist meines Beistandes gewiß. Eine Hand wäscht die
andere. Ich will damit sagen... ich meine, in einem Fall
wo ich auf das Eingreifen der Militärbehörde (mit drohendem
Nachdruck auf dem Wort) gefaßt sein muß, vielleicht sogar
der... der politischen, wäre über eine besondere Vergütung
zu verhandeln. Sie dürfte nicht allzu niedrig bemessen sein,
das verhehle ich nicht. Je prends mon bien, où je le trouve.
Lukardis (bittend): Und wenn ich doch etwas von
Natascha in mik hätte... Warum verurteilen Sie mich
Ein Mensch hat viele Möglichkeiten..
geschlafen. Auch ich bin aufgewacht. Auf ich will mit in die
Zukunft hinaus
Nadinsky (erschreckt über ihre zu laut gewordene) niemand darob erschrecke. Bitte die portische Ader nicht
Stimme). S=s=t! Denken Sie an die Wände und Türen
ungünstig aufzunehmen. (Schenkt ein.)
Vor allem müssen wir uns auch unter vier Augen so anreden
Dimka (kauert beim Ofen, den sie frisch auffüllt)
als ob wir wären, was wir vorstellen.
Lumpenvieh. Schwatzt und schwatzt. Gottloses Vieh. Keinen
Lukardis. Es ist wahr. Aber dann werden Sie
Sonntag in die Kirche, seit Jahr und Tag. Mästet sich mit
Nadinsky (korrigiert). Dann wirst du
dem Unzuchtsgeld. Speichellecker. Leuteschinder. Wie die
Lukardis. Dann wirst du sagen, ich hätte mich
Herrin, so der Knecht.
noch ärger kompromittiert... (Verbessert sich rasch.) Ja, ich
Igor (schlägt nach hinten mit dem Fuß gegen sie aus,
weiß, es ist ein dummes Wort
zischt). Still, Hexe. (Zugleich Kratzfuß.) Madame est servie.
Nadinsky. Nein, es ist kein Wort dafür. Du kannst
(Vertraulich zu Nadinsky.) Bitte die Gegenwart dieser
nicht mehr mit einem Gläubiger verhandeln, wenn du dein
Wahnsinnigen nicht zu verübeln. Voilà la canaille
ganzes Vermögen verloren hast. Komm näher zu mir, sei
Dimka (starrt ins Feuer). Quatscht französisch, cha
dich zu mir, ich will's dir erklären. (Richtet sich zum Sitzer
Als ob's das wirklich gäbe, französisch. Damit tun sie ja nu
auf, ergreift ihre Hand, zieht sie neben sich.) Merk auf
Lukardis (bestürzt). Sie sehen doch... mein..
so, die Herren und Damen. Sind doch alle nackigt unterm
Wenn jetzt dieses Tier, der Jgor, erscheint, läufst du von mir
mein Freund ist momentan nicht in der Verfassung...
Hemde. (Ab, als Igor die Faust gegen sie ballt.)
weg, als geniertest du dich. Das wirkt glaubwürdiger, al-
Olga Petrowna. Gewiß. Die Dame kann
Nadinsky. Wir haben weiter nichts nötig. Wie
unbesorgt sein. Halsabschneiderische Allüren liebe ich nicht
wenn wir eigens ein lebendes Bild für ihn arrangieren
wollen nicht mehr gestört sein.
Die Dame ist mir sehr sympathisch. Es hat unter allen Um
Lukardis (gepeinigt). Was für Winkelzüge,
Igor. Dero Gnaden gehorsamster Diener. (Retiriert.
Ueberlegungen
ständen Zeit. Wenn man die Geiseln im Hause hat, sind
Draußen Stimmen Igor!ogor! Er ruft über die Schulter.)
andere Bürgschaften überflüssig. Ich empfehle mich den
Nadinsky. So ist es eben. Nun hör zu, was ich die
Zur Stelle! (Aefft.) Igor! Igor! Ja doch. Von früh bis
sagen will. Es wäre weniger unheimlich, wenigen folgen
Herrschaften. Darf ich mich den Herrschaften bekann
spät: Jgor. Igor. Nicht zu fressen ist einem erlaubt, bitt¬
machen? Olga Petrowna Uglassew. Ug—las—sem. Ein nicht-
schwer für dich, wenn wir in einer Kerkerzelle zusammen¬
untertänigst um Nachsicht. Können es nicht erwarten: Igor
unberühmter Name, schmeichle ich mir. Geruhsame Nacht zu
geworfen worden wären. Nicht in dem Grad wär's das
Igor! Aber Agor zahlt's ihnen heim. Igor durchschaut alles
wünschen. (Wie sie die Tür öffnet, vernimmt man laute-
Unterste des Lebens, sein Bodenschlamm, nicht so müßten Igor weiß alles. Vor Jgor bleibt nichts verborgen, entdeckt
Gekicher, zwei halbnackte Frauenzimmer huschen vorbei
wir mit jedem Laut und Blick erst über seine infamste Häß
er’s nicht heut, entdeckt er's morgen. Bitte nochmals die
lichkeit hinwegkommen, während wir uns glauben machen
kehren um, als sie Olga Petrowna gewahren, hängen
poetische Ader nicht ungnädig aufzunehmen. (Stößt bei der
sich ihr links und rechts an den Hals, offensichtlich schwer
daß wir einer heiligen Sache dienen. Verstehst du, was ich
Tür mit Olga Petrowna zusammen.) Pardon...
betrunken, und unter dem Bemühen, sie abzuschütteln, schließ
meine? Du schaust mich so seltsam an... verstehst du
Olga Petrowna (zornig). Kannst du nicht auf-
mich? Verstehst du, daß du den Anspruch dasoben, in deine
sie die Tür.)
passen, du Schwein?
Welt, verwirkt hast! Daß du dich endgültig zu denen
Pause. Nadinsky und Lukardis sehen einander schweigend an.
schlagen hast, von deren Qual und Not wir alle bishe
unseren Frieden, alles, was wir Glück und Schönhei
Lukardis (von Grauen und Ekel überwältigt, weicht
Nadinsky. Mausefalle. Was tun
nennen, bezahlt haben? Verstehst du das? Gut. Und ver¬
gegen den Hintergrund zurück). Was für ein Mensch!
Lukardis (verstört). Die entsetzliche Person weise
stehst du, daß wir, du und ich, uns durch den Aufenthalt in
Olga Petrowua (phrasenhast). Ich bitte für mein
mehr, als sie sagt. Man müßte Anastasia Karlowna benach
diesem Haus besudeln, aus welchen Motiven immer wir es
Eindringen um Verzeihung. Derlei Belästigungen liegen
richtigen.
tun? Die Umstände haben es erzwungen, schön.. Aber was
meiner Gewohnheit sonst fern. Aber eine gewisse Ihnen be=
Nadinsky. Ausgeschlossen. Wir sind Gefangene
dann? Was später? Wir müssen einander... wir drück
kannte Dame hat mir die Sorge für Ihr Wohlergehen so
Riegeln Sie die Tür zu. Drehen Sie die Lichter vor den
ich's aus... wir müssen einander zu Bildnissen werden, damit
dringend ans Herz gelegt, daß ich nicht umhin kann, mich
Spiegel ab. Danke, Danke. Vanke, Natascha. Denke
uns die Wirklichkeit nicht erdrosselt. Wir dürfen keinen Lei¬
zu erkundigen, ob Sie nach Wunsch bedient werden und sich
Lukardis. Willst du mir aufsteh'n helfen... mir ist heiß und
mehr haben. Wir müssen miteinander umgehen wie die
bei mir zu Hause fühlen
kalt. Ich sollte mich ins Bett legen. Aber es graut mir von
Geister im Geisterreich. Das allein kann uns vielleicht retten
Nadinsky (eisig). Danke. Wir sind zufrieden. Wenn dem Bett. Jetzt, wo du nicht mehr fortgeh'n kannst, brauch
Lukardis. Ich verstehe. Nicht ganz, aber ungefähr
wir es nicht sind, werden wir uns beschweren
ich dich auf einmal. Durst... Durst... (Nimmt das Glas¬
Sie wollen... du willst die Wirklichkeit unwirklich machen
Olga Petrowna (unempfindlich). Freut miö
mit Champagner, trinkt es aus, reicht Lukardis das zweite
Dazu muß man ungeheuer stark sein.
zu hören. Auch das Fräulein... will sagen die jungen
die es mit einer Geste des Widerwillens zurückweist, woran
Nadinsky: Ja. Dazu muß man stark sein.
gnädige Frau?
er auch dieses noch leertrinkt.
„Geh'n ma! Geh'n mais!“ flehte, drohte. bettelte
alles, aber auch alles zu danken. Seinem Geld, seinem Ver¬
wartet, die Zeit drängt, der Pariser Zug darf in Köln um
Waitzer, war einem Schlaganfall nahe und hatte ein blau
trauen und seiner großen Geschicklichkeit, die so manchen
keinen Preis versäumt werden. Doch Louise steht gelassen da
rotes Gesicht, als würde er jeden Moment ersticken
Diplomaten oder Verschwörer beschämt hätte.
und beschäftigt sich damit, an ihren Handschuhen, die bis
Für die Prinzessin blieb er Luft. Sie würdigte den
Die drei im Wagen schwiegen lange
zum Ellbogen reichen, die vielen, viele Knöpfe, einen nach
kleinen, dicken Mann, der sich ihr überall dicht vor die Augen
Endlich brach Herr Waitzer los. Die Glückseligkeit über
dem anderen, zu schließen.
stellte, keines Blickes und keines Wortes. Sie hörte nicht,
das Gelingen, der Jubel über das Vollbrachte wollte ihn
„Aber, königliche Hoheit“, mahnt die Gattin des Ab-
was er ihr mit gedrosselter Stimme zukeuchte
schier die Brust zersprengen. Er wäre geplatzt, hätte er seinem
geordneten, „das können Sie ja unterwegs besorgen!
Enthusiasmus jetzt nicht Ausdruck gegeben. Er neigte sich
„Herr Graf“, sprach sie, „ich habe meine Kassette ver
Keine Antwort.
gessen. Briefe und Andenken von Ihnen. Sie werden so gut
vor, zur Prinzessin, die ihm gegenüber saß, stürmisch ergri=
„Es eilt sehr, königliche Hoheit.
sein, die Kassette zu bringen
er ihre beiden Hände, und in seiner röchelnden Stimme war
Die Prinzessin dreht der Dame, die ihr Gastlichkeit ge
Unverzüglich wollte Mattachich das Zimmer verlassen
nun wieder das Schnalzen der Natursänger, als er ausrief
boten hatte, den Rücken, setzt ihre Beschäftigung gelassen bis
Waitzer, ganz starr vor Staunen über den tollen Befehl
„Na, i gratalier', Hoheit — i gratelier' Ihna! Dös war
ans Fertigwerden fort und geht dann, mit leichtem Kopf
über den bis zur Tollheit unbedingten Gehorsam, zugleich
haba a schware Geburt!“
nicken aus dem Haus. Ohne sich daran zu kehren, daß dieses
auch von beiden, von Befehl wie Gehorsam, auf das äußerste
Vielleicht hoffte der dicke, einfältige Mann, ein Wort
Haus tagelang ihr rettendes Asyl gewesen.
verwirrt, suchte, Mattachich zurückzuhalten
des Dankes zu hören. Vielleicht sehnte er sich nach solch
Indessen sitze ich zu Paris und warte
Der aber ließ sich nicht hindern. Auch für ihn war dein
Kein Mensch in aller Welt weiß, wo die beiden hin
einem warmen Wort, das man ihm doch schuldig war. Er
dicke Waitzer jetzt Luft. Zum drittenmal machte er sich au
mag erst in dem Augenblick, in welchem er unter dem Zwan
geraten, wo sie versteckt sind. Die Zeitungen melden einmal
den Weg. Zum drittenmal stieg er die Treppe hinauf, schlich
Mattachich und seine Prinzessin hielten sich in Genf auf. Da¬
seiner eigenen Gefühle zu reden anfing, gedacht haben, daß
den Korridor entlang und zum drittenmal in das Zimmer
er damit die Prinzessin zu einer Aeußerung bewegen könne
nächste Mal in Zürich, in London
der Prinzessin.
Jedenfalls wäre er mit dem flüchtigsten Dank zufrieden
Aus Wien telegraphiert mir der Herr, der zu Anfang
Als er glücklich wieder zurückgekehrt war, hatte der
gewesen.
Mattachich an mich empfohlen hatte, abwechselnd: „Fahren
Kriminalbeamte derweil den Koffer auf das Dach des
Aber die Prinzessin entwand ihre Hände heftig der Um¬
Sie fort nach Cowes, Insel Wright. Dort treffen Sie
Wagens verstaut und blieb, von der Finsternis des Gartens
klammerung Waitzers und richtete an Mattachich das kühle
unseren Freund.
geschützt, unsichtbar.
Ersuchen: „Bitte, Herr Graf — sagen Sie die Herr Waitz
Ich bleibe in Paris und warte. Nicht ganz mit dem
Jetzt wurden in Waitzers Zimmer die Lampen gelöscht
heer, daß man eine königliche Prinzessin nicht bei die Händ¬
Gefühl der Sicherheit. Das räume ich ein. Wer kann denn
und man sollte eilig davon.
packt und schüttelt
auch ahnen, welche Hindernisse, weiche Zufälle dem Vorsatz,
Eilig? Nur Herr Waitzer, der die von ihm so bitten
Eisige Dusche für den armen Waitzer. Mäuschenstille
nach Paris zu fahren, unversehens entgegenstanden. Ferner
im Wagen, der weiter und weiter rollt. Immer noch auf
gehaßte Kassette übernommen hatte, lief, was er konnte.
wer kann fest darauf bauen, daß Mattachich zuverlässig sein
Mattachich aber bot der Prinzession auf ihr Begehren sächsischem Boden
und die Verabredung einhalten wird?
seinen Arm, und so schritten die beiden, langsam, wie bei
Die Nachtluft reizt den alten Katarrh. Waitzer hustet
Aber ich habe in Paris Rendezvous mit ihm und ich
einem Spaziergang, über die Kurpromenade durch den
und das klingt, wie wenn man den Blasebalg einer ver¬
bleibe in Paris
Garten hinaus auf die Straße, zum Wagen.
jährten Orgel zu treten beginnt. Er muß sogar spucken. Un
Es sind da Angelegenheiten zu erledigen, die ihm wich¬
Der Kriminalbeamte war längst wieder in seine Stub=
jetzt wird er zum erstenmal einer direkten Ansprache der
tiger sein müssen als mir.
geschlüpft, wo er bleiernen Schlaf maakierte
Prinzessin gewürdigt
Seine Rehabilitierung. Das offizielle Zugeständnis, daß
Der Pferde zogen an, der Wägen rollte durch die Nacht,
„Pfui, Herr Waitz-heer, Sie husten und spucken, geh'n
die Prinzessin geistig gesund ist.
Sie auf die Bock!
hinaus aus Bad Elster, erreichte die Landstraße. Die Fluch=
Also Geduld! Wenn auch schon etliche Tage über den
war beinahe gelungen. Beinahe, denn noch befand man sich
Der Wagen muß halten. Waitzer muß aussteigen, muß
anberaumten Termin verstrichen sind.
auf sächsischem Boden
den Kutschbock erklettern. Und man ist immer noch in
Richtig, eines Morgens tritt Mattachich zu mir in den
Im Wagen waren die drei zusammen. Das Liebespaar
Sachsen
Frühstücksaal des Grand Hotels. Schlendernd und ge¬
das sich nach so schrecklichen Erlebnissen, auch so schmach
Endlich wird Hof erreicht, der Expreßzug bestiegen, und
mächlich, wie irgendein Pariser Trottoirbummler, so ziel¬
voller Trennung, nach solch ungeheuren Hindernissen, mit
in Berlin finden die beiden ein Asyl bei einem Mitglied des
sicher und so ganz ohne Verwunderung, mich gerade hier zu
dem Einsatz des Lebens nun doch wieder vereinigt hatte. Un=
Reichstages
treffen, als sei es ihm in jahrelanger Gewohnheit bekannt,
der dicke Wiener Gastwirt, dessen wilden Hernalser Dialek
Louise behält ihr gebieterisches Wesen auch ihren Be¬
mich immer wieder hier zu finden
die Prinzessin nicht ganz verstand, ebenso wie ihm das dünne
schützern gegenüber. Noch am letzten Morgen, in jenem Hause
noble Französisch=Deutsch der Prinzessin fast unverständlich
da sie mit Mattachich die Autofahrt nach Köln antreten soll
Ein ganz kurzer Gruß. Tann gleich: „Die Prinzessin
blieb. Immerhin, diesem einfachen Herrn Paitzer hatte wan I bleibt sie dem bestgemeinten Rat unzugänglich. Das Auto | erwartet Sie — kommen E' gleich!