A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 60

Gäste, die die Bluttat zuerst wollüstig, dann schaudernd erlebt hatten, in
banger Ahnung des Umsturzes fliehen. Das Stück macht in seiner Bewegtheit,
die wir im Folgenden näher untersuchen wollen, einen geradezu sensationell
Eindruck; der Nachdruck ist weniger auf vie Handlung als auf die Nerven ge
legt. Es ist Schnitzlers Lieblingsthema, das hier anklingtund ausgeschöpft
wird: wie Schein in Wirklichkeit sich wandelt und Wirkichkeit in Schein.
Die Skepsis, die vielen Werken des Dichters eigen ist, ist hier zum Pathos
die blasse Tronie in blutrote Satire umgefärbt. Auch hier wie im „Schleier
der Beatrice“ beschleicht uns das Doppelgefühl, wir und nicht Menschen des
18. Jhdts. ständen auf der Bühne. Wir leben mit diesen ungestüm vorwärts-
drängenden, frechübermütigen Komödianten und zittern mit ihnen, wenn aus
dem witzigen Spiel trgische Wirklichkeit wird. Wie Richard Specht meint,
ist,der grüne Kakadu“ so lebendig, dass die Zuschauer schattenhaft dabei
werden. Hier ist Schnitzler einmal davon abgewichten, das Seelische in den
Vordergrund treten zu lassen; aus dem ausserlichen erwächst die Tragik. Wie
im „Schleier der Beatrice“ bildet auch hier ein historisch bedeutungsvollen
Ereignis die Voraussetzung für das wuchtige Werden und erschütternde Aus-
klingen der Groteske. Die Bew ütheit wurzelt wieder in den starken Gegensät¬
zen: Spiel und Wahrheit, Sein und Schein, Leben und Tod. Die Personen des
Einakters sind krankhaft, entnervt und fühllos. Während über der Erde die
Bastille erstürmt wird und Brandfanale über Paris leuchten, lassen sich
Adelige in einer Spelunke Verbrecherszenen vorspielen. Diese sind für sie
wichtiger als die weltgeschichtlich bedeutsamen Geschehnisse in der Seine-
Stadt. Da endlich das Spiel durch die Ermordung des Herzogs von Cadignan
grausige Wirklichkeit wird, klatscht man Beifall und verabredet sich an der
Leiche zu einer Liebesnacht. Séverine, die Frau des Marquis von Langac ruft
nach der Ermordung des Herzogs aus: „Es trifft sich wunderbar. Man sieht
nicht alle Tage einen wirklichen Herzog wirklich ermorden.“ Von dem Dichter
Rollin verabschiedet sie sich mit den Worten: Rollin, warten Sie heut Nacht
vor meinem Fenster. Ich werfe den Schlüssel hinunter wie neulich - wir wol-
len eine schöne Stunde haben - ich fühle mich angenehm erregt." Henri, der
Schauspieler, ist eifersüchtig und vermutet, dass ihn seine junge Frau-
eine Schauspielerin - mit anderen Männern betrüge. Deshalb will er mit
Leocadie am andern Tage Paris für immer verlassen. Heute spielen beide zum
letzten Mal Theater. Er brachte sie zur Bühne und kehrte allein um. Aber
schon nach hundert Schritten hat's begonnen....in mir...versteht ihr mich...
eine ungeheure Unruhe... und es war, als zwänge mich irgendetwas, umzukehren
...und ich bin ungekehrt.und hingegangen. Aber da hab' ich mich geschämt
und bin wieder forte...und weder war ich hundert Schritt weit vom Theater...
da hat es mich gepackt...und wieder bin ich zurück. Ihre Szene war zu Ende.
...sie hat ja nicht viel zu tun, steht nur eine Weile auf der Bühne, halb-
nackt — und dann ist sie fertig... ich stehe vor ihrer Gaferobe, ich lehne
mein Ohr an die Tür und höre flüstern. Ich kann kein Wort unterscheiden.
das Flüstern verstummt... ich stosse die Tür auf... (Er brüllt wie ein wildes
Tier.) - es war der Herzog von Cadignan und ich hab' ihn ermordet.-
Eine ungeheure Steigerung liegt in diesen Worten. Der Wirt und die
Zuschauer, die sie erleben, sind hingerissen und halten alles für wahr.
„Elender," ruft Prospère, der Herr der Spelunke, seinem besten Schauspieler
zu. Er weiss, dass Léocadie mit dem Herzog wirklich ein Verhältnis hat; die-
ses Wissen lässt ihn die schauspielerische Begabung Henris verkennen. So
glaubt er, die Mordtat sei wirklich geschehen. Der Schauspieler seinerseits
ahnt, dass Léocadie ihn betrogen und hintergangen hat und leidet darunter.
In seinen Eifersuchtsqualen zeigt er so in seiner Abschiedsvorstellung die-
ses dunkle Blatt in seinem Leben auf und macht den Herzog, den er vielleicht
im Verdacht hat, der Verführer seiner Frau zu sein, von dem er es aber nicht
genau weiss, zum Mittelpunkt seiner kurzen Tragödie. Dedurch, dass er hier
unbewusst das Richtige trifft und die auf der Bühne befindlichen Zuschauer