A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 61

das wissen, bewirkt der Dichter die Spannung - diese Art, die Bühne auf die
Bühne zu stellen (ich erinnere an Shakespeares „Hamlet")hat Schnitzler gerne
angewandt - durch das Erscheinen des Herzogs und seine Ermordung lässt
der Dichter diese Spannung und Herzensbeklemmung zu Zittern und Erschütte-
rung werden, und so entsteht aus kleinster Wurzel, dem Spiel, die grösste
tragische Wirkung, der Mod. An der Leiche des Herzogs erhebt sich ein Sch=
Schlachtruf der französischen Revolution: „Es lebe die Freiheit!“ Jäh er-
wacht jetzt der Zuschauer, der, durch die doppelte Bühne ein wenig ver-
wirrt, geglaubt hat, er habe nur Spiel und nicht Wirklichkeit vor sich.
Alle Personen der Groteske befleissigen sich einer möglichst wilden Gebär-
de. Das kann man sich leisten; niemand wird sagen können, ob gewisse Wün¬
sche und Flüche im Spiel oder Scherz gemacht worden sind. So begrüsst der
Wirt die hochadligen Gäste als Schurken und Schweine, die hoffentlich
nächstens das Volk umbringen werde. Zu Francois, Vicomte von Nogeant und
Albin, Chevalier de la Tremouille, sagt er bei ihrem Eintritt: Guten Abend
ihr Schweine.“ Als Francis meint, sie kämen heute etwas früh, entgegnet
er: Du kannst dir ja unterdes mit deinem Lustknaben die Zeit vertreiben.
Wenn das Scherz ist, dann ist es bestimmt ein etwas seltsamer Scherz, hinter
dem verborgene Glut lauert. Und das kann auch kaum anders sein. Am Tage
des Ausbruchs der grossen Revolution ist die Wut des Volkes gegen Adel und
König auf dem Siedepunkt angelangt. Sie beginnt sich in gehässiger Rede zu
entladen; die Noblesse lässt sich das alles gefallen; in ihrer Entnervung
und geistigen Entkräftung trachtet sie immer wieder nach kitzligen Situati-
onen, um der Erschlaffung für einige Zeit Herr zuwerden; sie merkt gar-
nicht - wie sollte sie auch - dass die Bürger und Komödianten mit ihr spie¬
len, und dass diese erniedrigende Behandlung für sie den Anfang vom Ende
bedeutet. Weil der Dichter das ganze Geschehen einem Akt eingegliedert hat,
trägt er zur Erhöhung der Bewegtheit nicht unwesentlich bei.
Wiß Oskar Walzel in seiner „Deutschen Literatur“ von Goethes Tod
bis zur Gegenwart" gezeigt hat, „ist Arthur Schnitzler Ironiker im weite-
sten, auch im romantischen Sinn des Wortes.“ Er gefällt sich gerne in der
Rolle des sexuell Blasierten, nimmt aber sich und die Geschöpfe seiner
Dichtungen meist nicht sehr ernst. In seinem Nachlassbande „ Die Berührung
der sphären“ meint Hugo v. Hofmannsthal, je kühner Schnitzler die Ironie
anwende und seine Motive mit ihr in die Enge treibe, desto weiter erscheine
paradoxerweise sein geistiger Horizont. In welch'einer starken,künstlerisch
meisterhaften Weise unser Dichter in dieser Beziehung sich auslassen kann,
ersehen wir aus dem „Grünen Kakadu“. Aristokraten und Stromer tauschen hier
die Rollen. Ein Komödiant wird Held. Er spielt, was er noch nicht erlebt
hat. Die Mitspieler halten es für Wahrheit, die Zuschauer für Komödie? In
einem Augenblick glauben beide Teile an Wahrheit, Der Schauspieler leugnet,
einen Herzog erstochen zu haben. Der lebende Herzog tritt ein. Gipfel: er
tötet ihn wirklich. In dieser Ironie, diesem übermütigen Spiel, das die
Zuschauer munter und interessiert macht, um sie dann jäh in tragische
Wirklichkeit zurückzustossen, liegt letztlich Schnitzlers besondere und höch-
ste Kraft. Er beherrscht alle Instrumente und vermag auf diesen das „Forti
simo" nicht am schlechtesten zum Erklingen zu bringen.
Das merken wir auch aus seinem wohl grössten Bühnenwerke, dem
„Jungen Medardus“. Auch hier Bewegtheit aus unvereinbaren Gegensätzen gebo-
ren. Liebe vereint den jungen Wiener Helden Medardus mit Helene, der Toch-
ter des französischen Herzogs Christophe Bernard von Valois; eingeborener
Hass gegen die Familie der Valois, die seine Schwester in den Tod getrieben
hat, und darüber hinaus, gegen alles, was französisch ist und heisst-Napole
on, der das Leben seines Vaters auf dem Gewissen hat, galt von jeher sein
Racheschwur -, ersticken diese Herzensneigung jeweils schon, bevor sie
noch aufgeblüht ist. Es ist Schnitzler nicht möglich, den Kreis zu durch-
brechen, den seine Pläne und Gedanken um ihn gezogen haben. Monach er auch
greifen mag, in seiner Hand verwandelt es sich wieder in eines seiner