A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 85

Stoff und seine eigene Gesetzmässigkeit von der Sphäre der Formung
völlig überbaut ist, deren Gebote allein massgebend sind. Spielen,
das heisst ja Beziehungen zum Lebendigen lookern, einer selbstge-
wählten Formsprache rein genügen. Welcher Steigerung ins Geistige,
welcher Kraft der Gestaltung solches "Spielen" fähig ist, weiss,
wer Musik erlebt hat. Und kaum geringer sind seine Möglichkeiten
im dichterischen Bereiche, wo es von ersten Elementen des primiti-
ven Stegreiftheaters bis in die höchste Höhe Shakespearescher Lust-
spieldichtung wirksam ist. Allen diesen Gebilden ist ein Wesensmerk-
mal eigen, das die Gemeinsamkeit des Ursprungs bezeugt: der unlös-
bare Rest von Schwermut am Grunde ihrer Heiterkeit, von Heiter-
keit am Grunde ihrer Schwermut. Man erlebt diese besondere Mischung
in einem einzig artigen Gefühl, aus Befreiung und Verzicht gemischt,
das entspringen muss, wo immer Leben in beziehungsloses Spiel der
Form gelöst wird.
Dass aber die Menschen auf solcher Bühne nicht zu
Figurinen werden, verhütet der Dichter, der nicht nach Willkür an
seinen Fäden zieht. Das Geschehenk, zu dem er sie knüpft, es ist das
bald bedeutungsvolle,bald bedeutungslose,bals behutsame, bald
achtlose Spiel der Natur mit ihren Kindern, das wir, blind unter-
worfen, nicht zu durchschauem vermögen; es ist das menschliche
Leben gesehen aus jenem Seelenbezirk, in dem der Mensch sich zu-
tiefst als Kreatur fühlt, als Welle im Strom dunkler Naturgewalt.
Hier liegt die Heimat aller Sehnsucht nach Lösung und Auflösung,
allen Verlangens nach Hingabe, nach Heraustreten aus Schranken
des Individuums - Ekstase in wörtlichem Sinne, die Urheimat aller
Musik. Hier, wo mit der Selbstbehauptung der Persönlichkeit sicherste
Grundlagen fragwürdig werden, waltet die Melancholie der ewigen
lyrischen Probleme: Jugend und Alter, Liebe und Verrat, Dauer und
Vergänglichkeit. Sieg und Untergang, Himmel und Hölle, Leben und Tod