A240: Arbeiten über Schnitzler, Seite 96

Mikkelin
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Die Angst vor dem Schicksal hat ihn tiefgründig und weitblickend,
das erfüllte Schicksal ganz weise und reif gemacht.
Symbole: Wenn man an Schnitzlers Bücher denkt,erinnert
man sich nicht zuerst der Figuren, nicht auch der einzelnen Ge-
stalten,sondern an eine Atmosphäre. Schnitzler hat nicht so sehr
Gestalten geschaffen als Seelen. Die innere Welt seiner Menschen
ist einprägsamer als ihr äusserer Habitus. Ihre psychischen Er-
schütterungen bleiben deutlicher dem Gedächtnis bewahrt als die
äusseren faktischen Geschehnisse. Das kommt daher, weil der rei-
fere, der skeptisch gewordene Schnitzler das Wirkliche nicht
mehr ganz wirklich nahm, sondern immer hinter allem die Mächte
spürte, die unfassbaren. Er hatte die Gefühle, die Gesten, die
Worte, alle die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen der psychischen
Vorgänge so genau analysisiert,dass er wusste, keines ist restlos
wahr und wie hinter jedem Blatt einer Blume ein anderes Blatt,
so liegt noch hinter jeder Wahrhaftigkeit eines Menschen eine
andere Wahrhaftigkeit, so dass einer immer den andern und sich
betrügt, ohne es zu wissen und zu mollen. Als Mensch glaubte er
nicht an die Sichtbarmachung des Letzten in einem Menschen,
als Künstler suchte er gerade das möglich zu machen, was er für un-
möglich hielt. Irgendwie galt ihm diese Welt als Scheinwelt, als
ein ganz merkwürdiges licht und dunkel durchflochtenes Gespinnst,
das man nicht ganz auflösen konnte, ein sonderbarer Knäuel, den
man - wozu? - hinrellte und herrollte und dabei glaubt er in
diesem sinnlosen Spiel glücklich zu sein. Nie hatte er, nie
eine seiner Gestalten den rechten Mut zum vollen und freien Ja